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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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technischer Hinsicht unbefriedigendsten gewesen, weil man das Überraschungsmoment so schlecht genutzt habe. Infolgedessen habe es sehr viele Selbstverstümmelungen gegeben. Die Räumungen der Lager von Rinkaby und Gälltofta seien dagegen sehr gut geplant, ruhig und effektiv gewesen.
    Hatte dieser Mann zu irgendeinem der Auszuliefernden ein persönliches Verhältnis? Nachdem er nach der Räumung des Lagers der Deutschen in Grunnebo als Transportpolizist Dienst getan hatte, kehrte er noch in derselben Nacht nach Backamo zurück. Dort hatte man achtundzwanzig Deutsche in kleinen Erdhöhlen aufgefunden: sie hatten versucht, sich einzugraben. Diese deutschen Soldaten sollten jetzt im Eiltempo nach Trelleborg gebracht werden, um sie noch mit dem ersten Transport ausliefern zu können. Das geschah um den 1. Dezember herum; man hatte die Deutschen mit Lautsprecher-Aufrufen aus ihren Höhlen gelockt, außerdem waren Spürhunde eingesetzt worden, und jetzt fuhr der Bus mit hoher Geschwindigkeit nach Süden, um das Schiff nicht zu verpassen. Hatte E.H. Angst vor den Deutschen? Die Zahl der begleitenden Polizisten war zu gering, ein gut organisierter Fluchtplan hätte große Erfolgschancen gehabt. E.H. hatte Angst. Er sagte zu einem älteren Kameraden: »Verflucht nochmal, wenn die was anstellen, schieße ich.« Der Kamerad riet ihm in bestimmtem Ton davon ab. »Lass den Quatsch«, sagte er. »Zumindest solltest du mich vorher fragen.« Welche Erfahrung besaß E.H.? Er war seit vier Jahren Polizeibeamter. Die Stimmung im Bus war sehr gespannt.
    Neben E.H. saß ein junger deutscher Wehrpflichtiger von etwa achtzehn bis zwanzig Jahren.
    Draußen war es dunkel, man konnte nicht viel sehen, der junge Mann neben ihm sah die ganze Zeit ruhig und unbewegt auf die vorüberziehende Landschaft. Gegen Mitternacht schluckte einer der Internierten einen Teelöffel hinunter, worauf ihm sehr übel wurde. Er begann sich zu übergeben, jemand schrie laut und hysterisch, und der Bus hielt an. Im Bus saßen sechs schwedische Polizisten und achtzehn deutsche Internierte. Der Fahrer kehrte um und fuhr nach Kungsbacka, lieferte den Mann mit dem Teelöffel in einer Klinik ab und setzte dann seine Fahrt fort. Dies geschah unmittelbar nach dem blutigen Freitag der ersten Lager-Räumung, man musste mit allem rechnen, aber die Fahrt nach Trelleborg wurde dennoch fortgesetzt. In den frühen Morgenstunden wurde die Atmosphäre im Bus etwas ruhiger; viele schliefen. Der junge Mann neben E.H. hatte ein Wörterbuch hervorgeholt und versuchte, ein Gespräch anzufangen. Er sagte, er komme aus Hamburg, sei der Sohn eines Schlachters, seine Mutter wohne in Kalmar, und am liebsten würde er zu ihr ziehen. E.H., dessen Vater Landarbeiter war, ging auf die Äußerungen des Jungen ein und versuchte, das Gespräch weiterzuführen. Der Deutsche erklärte, er sei nicht glücklich, er habe keine Lust, in die Sowjetunion zu kommen. Während die Stunden verstrichen, nahm E.H. mit immer größerem Interesse an der Unterhaltung teil. Er erklärte dem Deutschen, dass er dessen Gefühle verstehe. Um 9 Uhr morgens erreichten sie Trelleborg. Auf dem Kai in Trelleborg sah E.H., wie der junge Soldat, mit dem er gesprochen hatte, seine Mutter begrüßte und von ihr einen Blumenstrauß erhielt. Später sagte E.H., er sehe manches noch sehr deutlich vor sich: wie der junge Deutsche ihm die Blumen gab, wie er die Gangway hinaufging, Schritt für Schritt, wie er an Deck verschwand, wie er selbst unten auf dem Kai stand, die Blumen in der Hand, wie die Beine des Jungen die Gangway hinaufkletterten und verschwanden.
    Im übrigen glaube er nicht, sagt er, dass die Wachsoldaten den Ausgelieferten persönlich nähergekommen seien. Die Episode mit dem deutschen Jungen aus Hamburg bezeichnet er, was seine Person betreffe, eher als eine Ausnahme.
    Während einer zufälligen Unterbrechung des Wachdienstes in den Lagern kehrt E.H. zu seinem normalen Polizeidienst in Uppsala zurück. Er wird zu einer Demonstration vor der Universität abkommandiert. Die Demonstration gilt der Baltenfrage. Wie reagiert er? »Ich habe mir nichts Besonderes gedacht. Ich war über die Hintergründe des politischen Spiels nicht genügend informiert, um mir ein Urteil bilden zu können.« Was dachte er über den Auftrag, die Internierungslager zu räumen? »Um diesen Auftrag hat sich niemand gerissen, aber wir waren ja gezwungen.« Seine Erinnerung an die Demonstration? »Es war kalt. Ich stand herum und fror.«
    Am

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