Die Ausgelieferten
man. Während der Nacht stürmte es recht heftig, das Essen wurde sehr spät eingenommen; unter den Internierten blieb alles ruhig. Als der Morgen anbrach, schien die Sonne, um 7 Uhr wurden minus 1,2 Grad Celsius und Windstärke drei gemessen; um 9.15 Uhr glitt die »Beloostrov« durch die Einfahrt in den Hafen von Trelleborg, und man konnte damit beginnen, die Internierten an Bord zu nehmen.
Eichfuss, der die Nacht in einer Polizeiwache in Malmö verbracht hatte, kam gegen 12 Uhr mit einem Wagen an. Bevor er an Bord ging, wurde ihm erlaubt, eine informelle Pressekonferenz zu geben. Er saß auf dem Rücksitz des Wagens und sprach schnell und mit leiser Stimme zu den Korrespondenten. Zunächst machte er einige kurze autobiographische Angaben, erklärte dann, dass er voller Vertrauen sei, Gott werde auch in der Sowjetunion bei ihm sein. Das schwedische Volk in seiner Gesamtheit wolle er nicht tadeln. »Denn ich bin mir sehr wohl bewusst, dass es politische Umstände gewesen sind, die der Regierung ein anderes Handeln nicht erlaubt haben. Jetzt ist nichts mehr zu ändern. Wir sind ja alle nur Menschen, und ich kann nur hoffen, dass alles sich zum Besten wendet. Die schlimmste Zeit, die ich in Schweden, erlebt habe, waren die sechsundvierzig Tage der Isolierung in Kristianstad.«
Dann sagte er etwas, was sehr viele Schweden so schockieren sollte, dass sie seine Worte später am liebsten vergessen hätten:
– Ich selbst habe schon immer in die Sowjetunion zurückkehren wollen, und ich fahre jetzt aus freien Stücken in die Heimat. Ich verstehe nur nicht, warum die schwedischen Behörden mir nicht erlaubt haben, Schweden schon mit einem der früheren Transporte zu verlassen.
Er sagte hoch etwas von den »vielen kleinen Führer-Typen«, die er unter den Schweden angetroffen habe, aber er sprach jetzt sehr leise und schnell, und da er auf dem Rücksitz des Wagens saß und die vielen Korrespondenten sich am Wagenschlag drängten und es kaum möglich war, Ruhe zu schaffen, gingen seine letzten Worte in dem allgemeinen Stimmengewirr unter. Niemand wusste genau, was er in der letzten Minute der Pressekonferenz gesagt hatte. Der Polizeiwachtmeister an seiner Seite brach dann die Pressekonferenz ab, Eichfuss verließ den Wagen mit dem Arm voller Blumen; auf dem Kopf trug er eine hübsche Pelzmütze. Er lächelte immerzu in die Kamera, nickte den Presseleuten und Polizisten freundlich zu, verabschiedete sich von den Wachtmeistern, die ihn begleitet hatten, er lächelte die ganze Zeit, ging durch die Absperrung, wurde registriert, und alle sahen ihn an.
Er ging langsam über den Kai, immer noch mit den Blumen im Arm, kletterte die Gangway hinauf; oben an Deck blieb er einen Augenblick stehen, wandte sich dann um und sagte mit lauter Stimme: »Danke, Schweden!« zu den unten auf dem Kai Stehenden. Darauf verschwand er und wurde nicht mehr gesehen. Die erste Phase der Auslieferung war abgeschlossen.
Es war 14.15 Uhr. Klare Sonne, frischer Wind, der aber nicht sehr stark war – er pendelte zwischen Windstärke zwei und drei. Auf dem Kai kleine Schneeflecken. Temperatur um 13 Uhr: plus 1,4 Grad Celsius.
Wie verhielten sie sich? Einige der Journalisten notierten »eine frappierend große Zuversicht«; einige beschrieben ihre »ernsten, aber doch ruhigen Gesichter«. Körperlicher Zustand? Sie konnten alle ohne fremde Hilfe gehen. Alle? Waren sie ausgemergelt? Die Gewichtsangaben aus den Kliniken sprachen dafür, dass die baltischen Internierten ihr durch den Hungerstreik verlorenes Gewicht nach kurzer Zeit wieder erreicht hatten.
Wie fühlten sie sich? Was empfanden sie selbst?
»Nun, von der eigentlichen Auslieferung erinnere ich mich nur noch an die Gangway, die auf das Schiff führte. Sie sagten mir, ich solle hinaufgehen, und da oben standen die russischen Wachposten. Ich weiß noch, wie sehr mein Herz damals klopfte, ich glaubte, ich würde ohnmächtig werden. Wir hatten ja schon so lange an diesen Augenblick gedacht, und jetzt war er gekommen. Herrgott, ich weiß noch, wie heftig mein Herz klopfte. Es klopfte und klopfte und klopfte. Die lange Gangway, und das Schiff sah so riesengroß aus, und ich erinnere mich nur noch daran, wie sehr mein Herz klopfte.«
Porträt von Wachposten 1, Polizeiwachtmeister E.H. Polizeiwachtmeister E.H. hatte bei der Räumung der Lager von Backamo, Grunnebo, Rinkaby, Hässleholm und Gälltofta mitgewirkt. Die Aktionen in den Lagern der Deutschen in Backamo und Grunnebo seien die in
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