Die Ausgelieferten
Briefe. Ich habe an Euch geschrieben. Es wäre besser, Moritz näher zu sein. Bin froh, dass Ihr lebt. Habt um mich keine Angst, ich komme zu Euch, sobald ich kann. Haltet aus! Peteris.«
Hatte er noch Hoffnung? Glaubte er, bald freigelassen zu werden?
Im Januar gelang es ihm, einen Kassiber an einige Freunde aus dem Lager zu schmuggeln. Er hatte folgenden Wortlaut: »Wenn Ihr könnt, besorgt mir einen Anzug, einen Mantel und eine Mütze (59). Sagt, dass ich zu Grintals fahre. Wartet auf weitere Nachrichten. Habt Dank für alles! Peteris.«
Hatte er einen Fluchtplan ausgearbeitet?
Den letzten Brief schrieb er am 17.1.1947 in Gälltofta; er wird hier in vollem Wortlaut wiedergegeben. Er ist eine Woche vor dem Selbstmord geschrieben.
»Ich danke für Ihren Brief, den ich gestern erhielt. Ich hoffe, dass unser Briefwechsel Ihnen nicht allzu viel Mühe gemacht hat. Das Sprichwort sagt ja: sag mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist. Aber wir sind einander ja noch nie begegnet, und in diesem Augenblick ist mir klar, dass wir uns auch nie begegnen werden, denn mein weiterer Weg ist bereits abgesteckt. Von dort, wohin ich gehe, sind nur sehr wenige zurückgekehrt. Weder ich noch irgendein anderer kann diesen Weg akzeptieren, aber die Verantwortlichen haben dafür gesorgt, dass wir nicht vom Weg abweichen können. Ich persönlich bin ruhig, aber ich bin wütend auf mich selbst, weil ich im Sommer nicht in die Wälder geflohen bin, um mich dann übers Meer abzusetzen. Ich habe den Wald ja während meiner Studien kennengelernt, und navigieren kann ich auch. Trotz meiner jungen Jahre habe ich schon viel erlebt, sowohl in Lettland als auch bei Reisen durch fremde Länder Europas. Ich habe Länder gesehen, in denen es noch Sklaverei gibt, und andere Länder, die diesen Staaten die Sklaven ganz offen liefern. Wenn so etwas in diesem Jahrhundert geschehen kann, ist es nicht schwer zu sterben, und wenn es auch weiterhin geschieht, muss der Untergang der Welt nahe sein. Meine Frau und meine Kinder tun mir leid, weil sie ihren Ernährer verlieren werden, und das gerade jetzt, wo die Hoffnung und die Aussichten auf ein Wiedersehen so groß gewesen sind. Aber jeder muss sein Schicksal tragen; niemand kann es aus eigener Kraft ändern.
Wie ich schon in einem früheren Brief schrieb, bin ich froh, dass es meiner Familie bei den Engländern gutgeht, zumindest, was das Essen betrifft. Obwohl ich nicht mehr an einen weiteren Briefwechsel glaube, möchte ich hier schließen. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie gute Gesundheit und eine glückliche Heimreise in unser liebes Vaterland. Gott segne Lettland. Ihr P.V.«
Der Ton ist bitter, aber ruhig, in diesem eine Woche vor dem Selbstmord geschriebenen Brief deutet nichts auf Hysterie hin. In einem undatierten Brief-Fragment, das in einem Artikel zum Gedächtnis des fünften Jahrestags der Auslieferung veröffentlicht wurde und Vabulis zugeschrieben wird, gibt er jedoch ganz anderen Stimmungen Ausdruck. Er sagt, dass »wir zum Tode Verurteilten« dem schwedischen Volk nichts Böses wünschten, dass es aber besser gewesen wäre, wenn man den Legionären Zyankali statt Blumen und Zigaretten gegeben hätte. »Unter meine Vergangenheit habe ich einen Strich gezogen, meine Zukunft steht mir klar vor Augen – sie wird kurz sein. Es ist nur schade, dass ich nicht erleben kann, wie die Mörder sich eines Tages zu verteidigen versuchen, wenn der Eiserne Vorhang gefallen ist. Möge Gott es vielen, vielen Landsleuten gönnen, dies zu erleben. Ich halte aus bis zuletzt! Gott segne Lettland.«
Irgendwelche anderen und klareren Hinweise auf mögliche Motive für den Selbstmord gibt es nicht. Über die Haltung Vabulis’ in der letzten Zeit im Lager von Gälltofta ist ebenfalls nichts ausgesagt worden, wenn man einmal von der Feststellung des Transportarztes Åke Johansson absieht, der »Vabulis schon seit längerem beobachtet« hatte; dieser sei »zwar etwas unruhig gewesen, aber nicht so deprimiert, dass man eine Verzweiflungstat hätte befürchten müssen«.
Vabulis’ Selbstmord kam also völlig überraschend, und ein Bild von ihm lässt sich nur schwer gewinnen.
Was hat ihn getötet?
Im Dezember 1944 sahen Emilija-Elena Vabulis und ihre zwei Kinder ihren Mann und Vater zum letztenmal: er blieb eine Woche bei ihnen. Während dieser Zeit schien er fröhlich und optimistisch zu sein, er kehrte nach Kurland, an die Front zurück. Es war das letzte Mal, dass sie ihn sahen.
Im
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