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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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mit ihm? Was ich mit allen anderen mache, mit denen ich zusammenarbeite – die sich nicht abspeisen lassen, obwohl ich sie nicht ausstehen kann? Im Mai 1945 kamen zweitausend Deutsche nach Kalmar, und der verantwortliche Standortkommandant, Oberst Björkman, versprach diesen Männern, dass sie in Schweden bleiben dürften, und er versprach auch, dass sie nicht ausgeliefert werden würden. Er war nicht befugt, das zu sagen, aber er handelte in gutem Glauben. Er wurde später wegen Amtspflichtverletzung bestraft, und die zweitausend Deutschen wurden an die Russen ausgeliefert. Wie beurteilt man dies? Vorsitzender Mao, ich teile Ihren Widerwillen gegen Obristen in kapitalistischen Armeen. Ich teile Ihren Widerwillen gegen deutsche Faschisten. Aber das Versprechen ist dennoch gegeben worden, wenn auch gegen geltende Vorschriften. Was mache ich mit diesem Oberst Björkman und seinem Problem?
    Und die anderen – die ich nicht ausstehen kann, die sich aber trotzdem nicht abspeisen lassen. Was mache ich mit ihnen? Ich spreche mit einem schwedischen Pastor, der an der Kampagne gegen die Auslieferung aktiv mitgearbeitet hat, er spricht lange und mit Emphase davon, wie empörend diese Auslieferung gewesen sei. Es seien Menschen in unserem Land gewesen, die es in einer Situation absoluter Ausgeliefertheit und Verzweiflung vorgezogen hätten, sich einfach hinzulegen, um zu sterben, nicht mehr teilzunehmen – und dann zwinge die schwedische Regierung sie zu überleben, manchmal sogar durch aufgezwungene Ernährung mit Infusionen. Sei das nicht eine weitergehende Vergewaltigung als alles andere? Dieser Mann hat in fast allen Punkten sachlich unrecht, die Internierten streikten nicht, um zu sterben, sondern um die Behörden unter Druck zu setzen, und zwangsweise ist keiner der Internierten ernährt worden, aber dies ist irgendwie peripher. Ich begreife auch die Logik nicht, die ihm erlaubt, den Legionären erst ihr entsetzliches Schicksal vor Augen zu führen und dann über ihre Verzweiflung zu weinen. Er ist dennoch völlig aufrichtig und ohne Falsch. Im Dezember 1945 hat er hart gearbeitet, um für die etwa fünfzig minderjährigen Legionäre schwedische Pflegeeltern zu finden, was ihm auch gelungen ist. Diese Pflegeeltern brauchten aber nicht in Anspruch genommen zu werden. Und wenn er von den Pflegeeltern spricht, fängt er plötzlich an zu weinen, raucht aber seine Pfeife weiter, spricht weiter; hinterher scheint er sich seiner Tränen zu schämen, und ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll. Das Interview dauert eine Stunde und vierzig Minuten, hinterher gehe ich durch die Tür hinaus und denke »verfluchter Reaktionär«, zugleich bin ich aber aufgewühlt, und dieses Gefühl will nicht weichen, noch Stunden danach ist es nicht weg. Ich weiß nicht, woher es kommt. Was mache ich mit ihm und seinen verdammten Pflegeeltern und seinen verdammten Tränen?
    Mit solchen Menschen spreche ich ständig: sie haben auf die eine oder andere Weise mit der Auslieferung zu tun gehabt, Fragmente davon an sich gerissen. Die meisten von ihnen haben politische Ausgangspunkte, die nicht die meinen sind, wir betrachten einander misstrauisch wie durch ein Gitter, als wären wir Tiere in einem zoologischem Garten, die man voreinander schützen muss, die unfähig sind, Wertvorstellungen und Ausgangspositionen des anderen zu verstehen. Vorsitzender Mao, ich kenne sicher mehr Reaktionäre als Sie, und ich kann Ihnen versichern, dass sie ein eigenartiger Menschenschlag sind. Sie sitzen in ihren Salons und sprechen von ihrem moralischen Abscheu gegen die Auslieferung und die widerlichen Linken, die diese Auslieferung ins Werk gesetzt hätten, von ihrem Abscheu gegen den Kommunismus. Sie wissen oft gar nicht, wovon sie reden, haben keine Kenntnisse, sprechen aber gern von »unwissenden Schreihälsen«, die die Demonstrationszüge bevölkerten. Aber manchmal können auch diese Reaktionäre merkwürdig menschliche Züge an den Tag legen. Einer von ihnen hat mir sehr geholfen, obwohl ich ihn nie gesehen habe. Er hatte in einem der Internierungslager Dienst getan, er litt jetzt an Knochenkrebs in weit fortgeschrittenem Stadium und lag im Krankenhaus, das Morphium half nicht mehr, er litt entsetzliche Qualen, aber er half mir. Er hat sein Material unter großen Mühen gesichtet, geordnet und kommentiert. Er tat dies, weil er – trotz seiner Schmerzen – einen letzten Rest von seiner damaligen Empörung hatte hinüberretten können. Was mache ich

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