Die Ausgelieferten
vorher. Sie sprachen weiter über ihre Zukunft, saßen in flüsternden kleinen Gruppen unter Deck. Zu essen hatten sie noch genug, sie waren in Schweden reichlich versorgt worden, und die Lebensmittel waren nur zum Teil von den Russen beschlagnahmt worden. Die Internierten konnten nichts anderes tun als warten. Sie versuchten, den Kurs zu berechnen – zunächst glaubten sie, das Schiff liefe auf Leningrad zu, aber später wurde klar, dass der Kurs östlicher war. Es kam die zweite Nacht, das Meer war jetzt ruhig, früh am Morgen kam einer der Letten, der an Deck gewesen war, zu den anderen hinunter und sagte, er habe eine Küste gesehen, Land. Er meinte, es sei Lettland.
Zwei Stunden später liefen sie in den Hafen von Liepaja ein. Die Legionäre waren zu Hause. Sie waren in Lettland.
Es war der 27. Januar 1946, sie waren zurückgekehrt. Man befahl ihnen, unter Deck zu bleiben. Erst am Nachmittag durften sie von Bord gehen. Zunächst rief man sie an Deck, wo sie gezählt und kontrolliert wurden, dann brachte man sie an Land, wo sie eine weitere Kontrolle über sich ergehen lassen mussten. Die Balten wurden von den Deutschen die ganze Zeit sorgfältig getrennt gehalten.
Der Hafen war voller Menschen, meist Soldaten und Wachmannschaften, und die Legionäre sahen sofort, dass sie großes Aufsehen erregten. Das Wetter war immer noch gut, sie trugen ihre grauen schwedischen Uniformen und ihre weißen schwedischen Pelzmützen, und sie wurden von vielen Menschen umringt. Nun standen sie in schwedischen Uniformen auf lettischem Boden. Gegen 17 Uhr war die Registrierung beendet, und man befahl ihnen, sich für den Abmarsch bereitzuhalten. Die »Beloostrov« lag an der Kaimauer; sie sah hier kleiner aus als in Trelleborg. Die Wachen hatten Maschinenpistolen, die Gruppe stellte sich in zwei Reihen auf, und dann wurde der Abmarsch befohlen. »Wir wurden wie Vieh durch Liepaja getrieben.« Wie erlebten sie die Ankunft? »Wir wurden ausgeladen und marschierten dann zum Lager.« Wurden sie brutal behandelt? »Man gab uns Befehle, und wir gehorchten.« Wie haben Sie sich gefühlt? »Wie Vieh.« Warum?
Das Lager lag neben einer Zuckerfabrik.
In diesem Lager befanden sich bereits einige tausend deutsche Soldaten, aber man hatte einige Baracken geräumt, so dass man die Balten nicht mit den Deutschen zusammenlegen musste. Sie wurden in einen Vorhof gebracht, danach in eine Baracke, in der man sie entlauste, ihnen die Haare schnitt und sie badete, und schließlich wurden sie zu ihren Unterkünften geführt.
Dort traten sie an. Ein NKWD-Offizier hielt eine Ansprache.
Er stellte kurz fest, dass sie jetzt Kriegsgefangene seien, dass sie aber keine Angst zu haben brauchten. Sie sollten vor allem nicht an die Schauermärchen glauben, die Faschisten und Kapitalisten ihnen erzählt hätten. Jetzt werde man prüfen, ob sich die Legionäre irgendwelcher Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten. Kriegsverbrecher würden vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. Wer zwangsrekrutiert worden sei, würde freigelassen werden, um an der Wiederaufbauarbeit teilzunehmen. Sie sollten im übrigen dankbar sein, dass sie das kapitalistische Schweden hätten verlassen können.
Er fragte noch, ob jemand eine Klage vorzubringen habe, ob sie schlecht behandelt worden seien oder irgend etwas anderes vorzubringen hätten. Niemand sagte etwas. Nach kurzem Schweigen drehte der Offizier sich um und ging. Die Legionäre betraten ihre Baracken. Das neue Lager war eingeweiht.
Die Angaben über die Verhältnisse in diesem Lager weichen nur unbedeutend voneinander ab. Das meiste der aus Schweden mitgebrachten Lebensmittel war noch da, und die Internierten durften wenigstens Teile davon für den eigenen Gebrauch behalten. Im übrigen bestand das Essen aus 67o Gramm Brot sowie einer Mehlsuppe, von der es dreimal am Tag eine Portion gab. In den Baracken befanden sich je drei Pritschen übereinander, und das Gedränge war groß, jedenfalls im deutschen Teil des Lagers. Die Balten hatten etwas mehr Platz. Die Deutschen wurden auch gezwungen, außerhalb des Lagers zu arbeiten, während die baltischen Legionäre entweder von jeder Arbeit befreit waren oder aber nur zu kleineren Handreichungen herangezogen wurden.
Nach einigen Tagen begann die erste Untersuchung. Das Verhörpersonal bestand nur aus zwei Mann: einem Letten aus Riga und einem Russen in Zivil, der nie ein Wort sagte. Jeder der Legionäre bekam ein Formular mit neunundvierzig Fragen, die so
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