Die Ausgelieferten
hätten sich dagegen frei bewegen können. Laut TASS habe das »in russischen Kreisen großes und peinliches Aufsehen erregt«.
Zwei Tage später kommt ein weiterer Angriff gegen die »antisowjetische« Haltung Schwedens. »Es ist wohlbekannt, dass Schweden seine Neutralität zugunsten Deutschlands systematisch übertreten hat. Das sowjetfeindliche Geheul in den schwedischen Zeitungen ertränkt die Worte von Weisheit und Ehre, die man dort gelegentlich auch hört. Die schwedische Presse führt ihre provokative antisowjetische Linie der Kriegszeit fort.«
Manche Formulierungen sind interessant. Den Satz mit der »Musik unter der Stabführung irgendeines Dirigenten« glaubte er schon irgendwo gelesen zu haben: er fand ihn schließlich. Er stammt aus einer der berühmtesten Reden Lenins von 1921. Lenins Rede war ein heftiger Angriff gegen jene »reaktionären Emigrantenkreise«, die die Errungenschaften der Revolution hätten zunichte machen wollen und denen das während des Bürgerkrieges auch beinahe gelungen sei. »Solche Orchester werden zwar nicht von einem Mann allein dirigiert, sie folgen aber einer bestimmten Partitur. Das internationale Kapital dirigiert mit Mitteln, die weniger ins Auge springen als der Taktstock eines Dirigenten. Dass hier aber ein gut eingestimmtes Orchester spielt, sollten Sie aus jedem Zitat klar ersehen können.« Dem Artikelschreiber des Jahres 1945 muss diese Rede irgendwo im Kopf herumgespukt haben, dazu die gesamte damalige Situation. Er scheint das Chaos der ersten Krisenjahre sowie den Druck von außen auf die heutige Lage übertragen zu haben, in verkleinertem Maßstab zwar, aber im wesentlichen stimmt er mit Lenin überein.
Die russischen Anschuldigungen gründen sich in mehreren Fällen offenkundig auf falsche Informationen. In mehreren anderen Punkten sind sie jedoch völlig korrekt. Eine Tatsache ist kristallklar: dass die Russen das Gefühl hatten, die Schweden seien parteiisch und russenfeindlich. Ob man dieses Gefühl als übertrieben, paranoid oder sachlich begründet ansehen will, kommt auf den Standpunkt an. Die politische Situation, die allmählich entstand, lässt sich aber nur begreifen, wenn man das Gefühl versteht, das der russischen Reaktion zugrunde lag, sowie das Trauma des schlechten schwedischen Gewissens.
7
Kann man unverändert davon ausgehen, dass »die Experten« immer die »besten« Entschlüsse fassen, selbst wenn wir annehmen, dass sie über die dazu notwendigen Kenntnisse und Grundsätze verfügen? Und, eine logisch vorrangige Frage: sind »Expertisen« überhaupt anwendbar – das heißt, gibt es irgendein theoretisches Gedankengebäude, irgendeine Form relevanter Information außerhalb der Kenntnis der Allgemeinheit, die man der Analyse der Außenpolitik zugrunde legen könnte? Lässt sich damit die Richtigkeit der nun getroffenen Maßnahmen beweisen, wenn Psychologen, Mathematiker, Chemiker und Philosophen sie nicht zu begreifen vermögen?
Noam Chomsky
Sollte es im Falle von Krieg oder sonstwie für die Sicherheit des Reiches oder aus besonderen Gründen erforderlich sein, hat der König, was das Recht von Ausländern betrifft, ins Reich einzureisen, sich dort aufzuhalten, einen Wohnsitz zu begründen oder eine Tätigkeit anzunehmen oder auszuüben, das Recht, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
§ 59 des schwedischen Ausländergesetzes
D ie politischen Ereignisse vom Juni 1945 haben einen Hintergrund, der unklar ist und den man nur schwer ergründen kann: sämtliche Papiere sind der Geheimhaltung unterworfen und werden noch weitere dreißig Jahre in den Panzerschränken verbleiben. Viele haben die kommende Situation vorhergesehen: dass deutsche Truppen in Schweden Schutz suchen würden, dass die Besatzungstruppen in Norwegen die Grenze überschreiten würden, dass sie im Süden über die Ostsee ins Land kommen und dass die deutschen Soldaten in Dänemark nach Schweden fliehen würden. Als sie schließlich kamen, waren es verblüffend wenige, und aus dem Westen kam nur eine verschwindende Minderheit.
Zum Hintergrund gehören unter Umständen einige Gespräche zwischen Außenminister Günther und Madame Kollontaj im Herbst 1944. Die Bestimmungen des Waffenstillstands-Abkommens zwischen Deutschland und den Alliierten gehören auf jeden Fall dazu. Danach waren alle deutschen Truppen verpflichtet, am 9. Mai 1945 um 0.01 Uhr »alle aktiven Operationen zu beenden, in ihren jeweiligen Stellungen zu bleiben, sämtliche Waffen niederzulegen
Weitere Kostenlose Bücher