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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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Man bekommt einen Vortrag zu hören, und ganz plötzlich sieht man sich gezwungen, seine Meinung zu äußern und vielleicht sogar die Ansicht einer ganzen Partei.«
    Ratschläge zu geben, Informationen zu erhalten, zu kontrollieren: die Aufgaben des Ausschusses scheinen eher diffus zu sein. Besonders fleißig war er ebenfalls nicht. 1945 trat er achtmal zusammen, 1946 sechsmal. Es gab Informationen häppchenweise, mit langen Zwischenräumen. Diejenigen, die den Ausschuss kritisierten, hatten es nur allzu leicht: Sie polemisierten gegen zu geringes Arbeitstempo, lange Zwischenräume, zu kurze Konferenzen, ungenügende Information, schlecht vorbereitete Teilnehmer.
    »Die vergoldete Rattenfalle« – eine Rattenfalle für die Opposition? Einige aus deren Reihen verstanden es so. Dort wurden Angelegenheiten der Regierung vorgetragen. Es folgte eine Diskussion, und damit waren alle Teilnehmer und Parteien zufrieden, und damit waren ihnen die Hände gebunden. »Eine dem Feind – das heißt der jeweiligen Regierung – ausgelieferte Geisel, die allerlei bösen Eingebungen und Einwirkungen ausgesetzt war.« Die Situation wurde im Juni 1945 noch dadurch kompliziert, dass die Sammlungsregierung alle Parteien mit Ausnahme der Kommunisten umfasste und dass die Kommunisten im Auswärtigen Ausschuss nicht vertreten waren. Der Gegensatz Regierung–Opposition war hier also aufgehoben. Möglicherweise gab es einen anderen: den Gegensatz zwischen dem verantwortlichen Ministerium, dem Außenministerium, und den übrigen. Das Auswärtige Amt hatte alle Informationen, sämtliche Vorträge. Alle anderen spielten mit unwissender Tölpelhaftigkeit die Rolle der Opposition.
    Der Sommer 1966 war für den Untersucher der zweite Vietnam-Sommer gewesen: er hatte eine eigene Zeitrechnung. Der nächste Sommer würde der dritte sein, der übernächste der vierte. Während er an diesem Buch arbeitete, wurde um ihn herum eine allgemeine Diskussion geführt, die sich mit der Rolle des Amateurs in der Politik befasste. Es schien immer wieder Stimmen zu geben, die die Politik für ein Spiel mit vielen verborgenen Fäden hielten, für ein Spiel mit geheimen Zusammenhängen und Vorbehalten, ein Spiel , das folglich denen vorbehalten sein müsse, die die Regeln des Spiels kannten: den Politikern. Der Untersucher fragte sich immer wieder, ob es solche Menschen tatsächlich gab, Menschen, die nicht nur für die Innenpolitik und Verfassungsreformen, nicht nur für Lokalpolitik und Parteitaktik Zeit hatten, sondern auch Zeit und Kraft für eine eingehendere Beschäftigung mit außenpolitischen Spezialfragen, die Zeit hatten, alles zu lesen, und Kraft, Stellung zu nehmen. Er selbst hatte auf einigen begrenzten und schmalen Gebieten alles gelesen, dessen er hatte habhaft werden können. Das hatte viel Zeit gekostet, und er konnte nicht verstehen, wie ein Politiker diese Zeit erübrigen können sollte.
    Es gab nur eine Antwort auf diese Frage, sie war selbstverständlich und wurde von niemandem angezweifelt: die Außenpolitik war ein Haus mit vielen Wohnungen, und ein schwedischer Politiker konnte nicht in allen zu Hause sein, kaum in einer einzigen. Die Wohnungen wurden den anderen überlassen: den Karrierediplomaten mit ihren Eigenschaften und Wertvorstellungen sowie den Wissenschaftlern, sofern sie Wert darauf legten.
    Er hatte sein bisheriges Leben mit einem halben Misstrauen gegen Politiker zugebracht und mit einer halben Furcht vor ihnen. Beide, Furcht und Misstrauen, verschwanden allmählich, aber nicht, weil er glaubte, das große Spiel zu durchschauen, sondern weil er mitunter meinte, des Menschen in diesem Spiel ansichtig zu werden. Furcht und Verachtung wurzelten in dem Gefühl, draußen zu stehen, und er blieb immer draußen, da ein politischer Dilettant auch mit punktuellen Kenntnissen dadurch nicht schon ein politischer Profi wird. Aber ganz langsam entdeckte er, dass auch die Menschen, die er verachtet oder vor denen er sich gefürchtet hatte, draußen standen. Sie bewegten sich ständig an der Oberfläche, wurden von halbgaren Wertungen geleitet, von halben Informationen; immer wieder versuchten sie, einen Überblick über das große Spiel zu gewinnen, und immer wieder misslang ihnen das, da es nur wenige Gipfel gab, dafür aber einen bewölkten Himmel voller dicker und tiefhängender Wolken, diesige Täler: schlechte Sicht. Er teilte seinen Mangel an Kenntnissen mit vielen anderen, auch mit den vom Volk gewählten Parlamentariern, und als ihm

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