Die Ausgelieferten
feststellte. Die Haltung der Militärbehörden war ja schon seit dem 24. Mai klar.
So ist es gewesen: niemand schenkte der Frage größere Aufmerksamkeit. Sie flatterte plötzlich auf den Tisch und wurde routinemäßig bearbeitet. Die Angelegenheit war ein letztes, absonderliches Überbleibsel des Kriegs, das dem Außenministerium an einem Junitag des Jahres 1945 ins Haus schneite und zufällig zwischen einen stellvertretenden und einen verreisten Außenminister fiel. Da lag die Sache nun, nicht gefährlich und nicht kontrovers, sie war kein großes Politikum und entschied nicht über Leben und Tod von vielen Menschen; sie war der letzte kleine Splitter einer großen Explosion, die nicht einmal einer sorgfältigen Vorbereitung, Bearbeitung und Erledigung wert war. Und dann wurde die positive Alternative bearbeitet, Günthers Urlaub ging zu Ende, er kam zurück ins Amt, und die Angelegenheit konnte den Instanzenweg durchlaufen.
Das Außenministerium hatte das Seine getan.
Verantwortlich für die Vorbereitung der ganzen Sache war das Außenministerium, verantwortlicher Ressortchef Außenminister Günther. Die nächste Station, die die Frage zu passieren hatte, war der Auswärtige Ausschuss, der die Auslieferung am 11. Juni 1945 behandelte.
Der Auswärtige Ausschuss war einmal als Kontaktorgan zwischen Regierung und Reichstag gedacht gewesen, ein Krisenorgan, in dem schwierige und delikate außenpolitische Fragen eine tiefere Ausleuchtung erfahren, freier und unter absoluter Geheimhaltung diskutiert werden sollten. Offen, wenn auch hinter verschlossenen Türen. Doch irgendwann hatte ihn jemand »eine vergoldete Rattenfalle« genannt, und viele schienen dieser Bewertung zuzustimmen. Woher die Vergoldung kam, war nicht schwer zu sehen. Es waren im allgemeinen die Spitzenleute in der Hierarchie der Parteien, die auf den 16 Sitzen untergebracht wurden, Parteiführer, Gruppenführer, ehemalige Minister und andere. Das hatte zur Folge, dass das Durchschnittsalter in diesem Ausschuss außerordentlich hoch war: während des Krieges lag es bei 54,7 Jahren. Rickard Sandler stellte sehr viel später fest, dass »Parteiverdienste und Anciennitätsgesichtspunkte« bei Wahlen in den Auswärtigen Ausschuss eine etwas zu große Rolle gespielt hätten; niemand widersprach ihm.
Kommunisten haben diesem Ausschuss nie angehört. 1947 wäre es fast dazu gekommen, dass die Partei einen Ersatzplatz erhalten hätte, doch diese schwere Bedrohung wurde abgewehrt.
Für die Angehörigen des Ausschusses galt Schweigepflicht. Sie konnte jedoch nach willkürlichen Regeln oder unter dem Druck der Umstände aufgehoben werden. Im vorliegenden Fall wurde das Stillschweigen punktuell, aber ziemlich schnell aufgehoben: schon in einer Reichstagsdebatte vom 23. November 1944 wurde diskutiert, was geschehen war, zunächst von Ivar Anderson in der ersten Kammer, dann von Per Albin Hansson. Die Diskussion wurde nie sonderlich erhellend, aber die Geheimhaltung war damit aufgehoben oder zumindest lückenhaft.
Der Auswärtige Ausschuss war also eines dieser geheimnisvollen Organe, bei denen man sich vorstellen konnte, dass die Informationen umfassender waren, die Analysen tiefer, die Übersicht über Das Große Spiel besser. Der Auswärtige Ausschuss fasste keine Beschlüsse, war nur als Ratgeber tätig, doch der Glanz und die Geheimniskrämerei machten ihn dennoch zu etwas Besonderem. In den Augen der Politiker jedoch nicht immer.
»Sie setzen sich möglicherweise an einen reichlich gedeckten Tisch, schaffen es aber nur mit knapper Not, die Gerichte zu probieren, bevor es Zeit ist, vom Tisch aufzubrechen, was von den Gastgebern vielleicht auch nicht ungern gesehen wird.« Das waren Brusewitz’ Worte aus den dreißiger Jahren, doch all dies galt offenbar auch 1945. Die Kritik, die oft heftig war und mit einer überraschenden Bitterkeit vorgebracht wurde, kam fast immer von seiten der Opposition: Domö, Herlitz, Hammar während der letzten vierziger Jahre und auch später. Es war immer der Mangel an Information und Vorausinformationen, gegen den sich die Angriffe richteten, manchmal auch gegen Unklarheiten, Verwirrung, Nebelwände, die wichtige Beschlüsse verbargen. »Man sitzt im Auswärtigen Ausschuss, um einen etwas vulgären Ausdruck zu verwenden, wie ein ahnungsloser Tölpel und hat oft keine Ahnung, worum es geht. Man erscheint zu einer Sitzung, in die man berufen worden ist, und hat oft keine Ahnung davon, was für Dinge behandelt werden sollen.
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