Die Ausgelieferten
Ausschuss gehörte auch Östen Undén als normales Mitglied an. Er war ehemaliger Außenminister, den man im Krieg wegen seiner Deutschfeindlichkeit und seines Widerwillens gegen Kompromisse nach rechts beiseite geschoben hatte, und gegenwärtig gewöhnlicher Reichstagsabgeordneter. Im Herbst 1945 sollte er die Nachfolge Günthers in einem rein sozialdemokratischen Kabinett antreten und den Auslieferungsbeschluss der Koalitionsregierung in die Tat umsetzen. Er trat seinen Posten als Außenminister am 31. Juli 1945 an und äußerte seine Bereitschaft, sich während der »wenigen Jahre«, die der Regierung verbleiben würden, der Politik zu widmen. Er trat 1962 aus Altersgründen ab. Die Auslieferung sollte als »sein Werk« betrachtet werden, als ein Fleck in seiner Karriere.
Später, im Herbst, als die Frage nach Schuld und Verantwortlichkeit am brennendsten war, wies Günther auf die Tatsache hin, dass beide anwesend gewesen seien, und er tat es mit einem präzisen, polemischen Tritt nach hinten. »Die Sache wurde von der Regierung erörtert, aber es handelte sich nicht um eine reine Außenamts-Sache, sondern ging die anderen Ressorts mindestens ebenso viel an. Im übrigen wurde die Frage ja auch im Auswärtigen Ausschuss behandelt, dem auch unser gegenwärtiger Außenminister angehörte. Ob irgendein Völkerrechtsexperte außerhalb des Ausschusses angehört wurde, ist mir im Augenblick nicht erinnerlich.« (Interview mit Expressen vom 22. November 1945.) Neben dem Interview brachte die Zeitung auch ein Bild Günthers mit Bildtext: »Christian Günther: – Herr Undén war selbst dabei, als über die Balten entschieden wurde.« Die Worte »über die Balten entschieden« sind in dem Interview jedoch nicht enthalten. Das wäre auch kaum möglich gewesen, da der Auswärtige Ausschuss keine Entscheidungsbefugnis hat. Man muss davon ausgehen, dass die Formulierung von einem Journalisten stammt.
Da er krank gewesen ist, da er jetzt sehr alt ist, da es in der Wohnung halbdunkel ist, bewegt er sich mit sehr kurzen und vorsichtigen Schritten, als schleppe er seine Lebensjahre mit sich herum und gehe auf sehr dünnen Eierschalen, die jeden Augenblick zerbrechen können. Später sitzt der Mann, der die Auslieferung der Balten durchführte und der jetzt sehr alt ist, mitten unter der starken Lampe und blickt aus freundlichen, wachen Augen. Heute morgen war der Fahrstuhl des großen Hauses am Fyrverkarbacken stehengeblieben, es war schrecklich. Er hatte versucht anzurufen, um zu beschreiben, wie man trotzdem in die höheren Stockwerke gelangt, war aber nicht durchgekommen. Der Anruf wäre unnötig gewesen. Er sieht den Besucher freundlich und erleichtert an: der Fahrstuhl ist wieder in Ordnung.
Nach einer halben Stunde kommen sie auf die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses im Juni 1945 zu sprechen.
– Die Regierung hat uns informiert, sagt er trocken. Es kam zu einer Diskussion.
– War sie heftig?
– Es gab unterschiedliche Meinungen.
– Wurde irgendein Völkerrechtsexperte hinzugezogen?
– Nein, selbstverständlich nicht.
Und dann, nach einem nachdenklichen Zögern:
– Ich habe meine Aufzeichnungen von jener Sitzung noch einmal durchgesehen. Sie zeigen, dass ich an der eigentlichen Diskussion nicht teilnahm, abgesehen davon, dass ich eine Frage beantwortet habe. Ich wurde damals gefragt, ob es schon Untersuchungen darüber gebe, ob die Internierten in eine andere Richtung geschickt werden könnten. Aus meinen Aufzeichnungen kann ich aber ersehen, dass ich an der übrigen Debatte nicht teilgenommen habe.
– Übrigens, sagt er nach einer Pause, es ist manchmal gesagt worden, dass man damals nicht gewusst habe, dass sich auch Balten unter den Internierten befanden. Das stimmt nicht. Sie oder wir wussten sehr wohl, dass sich unter den Flüchtlingen auch Balten befanden. Das wurde im Vortrag vor dem Auswärtigen Ausschuss ausdrücklich hervorgehoben. Es ist auch schriftlich fixiert worden.
– Ist aber der Beschluss der Koalitionsregierung, die Internierten auszuliefern, nicht ein bisschen zu schnell gefasst worden? Ist der Vortrag vor dem Ausschuss nicht schlampig und unklar gewesen? Hat man eigentlich begriffen, wie kontrovers die Frage war?
– Ich weiß nicht, erwidert er langsam. Ich war ja kein Mitglied jener Regierung. Und im Auswärtigen Ausschuss … ja. Da gab es eigentlich gar nicht so viel zu überlegen. Das heißt, wenn man sich schon halbwegs entschieden hatte.
Später, während desselben
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