Die Ausgelieferten
meisten, mit denen er sprach, wollten ihre Aussagen nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit machen. Einige deuteten an, dass ein Teil der beteiligten schwedischen Offiziere starke Sympathien für die Deutschen gehabt hätte, die mit einer gewissen Seelenverwandtschaft verbunden gewesen seien. Andere meinten, dass etliche »vom Nazi-Bazillus ganz schön infiziert« gewesen seien. Andere wiederum versuchten, die Komponenten der mitunter anzutreffenden Deutschfreundlichkeit zu analysieren; dabei wiesen sie besonders auf die tiefe Bewunderung und den Respekt des schwedischen Offiziers vor dem deutschen Soldaten als Berufssoldaten hin, die von ideologischen Beimengungen frei gewesen seien. Einige betonten auch die mitunter auffällige Neugier der schwedischen Offiziere gegenüber ihren deutschen Kollegen, die allerdings vorwiegend eine berufsmäßige Neugier gewesen sei, die Neugier der Theoretiker gegenüber Männern mit praktischen Erfahrungen im Krieg. Einige sagten, dass es zwar verdächtige Fälle von Seelenfreundschaft gegeben habe, dass aber die absolute Mehrheit der schwedischen Offiziere gute Demokraten gewesen seien, die nur ihre Pflicht getan hätten. Alle, mit denen er sprach, senkten bei der Unterhaltung die Stimme. Ein gültiges Ergebnis zu erzielen, war nicht möglich.
Viele der interviewten Offiziere gaben einer gewissermaßen sachlichen Resignation Ausdruck; diese Männer entsprachen durchaus nicht den vorgefassten Meinungen des Untersuchers, sie waren freundlich und offen, und er musste bald zu seiner Enttäuschung einsehen, dass es ihm kaum gelingen würde, ein vernichtendes Porträt des Offiziers von 1945 zu zeichnen, wie er ursprünglich geglaubt hatte. Es gab zwar viele Ausnahmen, aber ihre Zahl war nicht groß genug, um ein generelles Urteil zu begründen.
Offizier, 58 Jahre alt, fiktives Porträt, das sich aus drei authentischen zusammensetzt; eine Neigung zur politischen Rechten ist unverkennbar. Als Soldat hat er es nicht sonderlich weit gebracht, aber er wohnt sehr schön. Man kann seinen Besitz durchaus ein Gut nennen. Er sagt nach der Begrüßung sofort, dass er einem Mann mit Sympathien für die Linke niemals, niemals irgendwelche Angaben über die Auslieferung der Balten anvertrauen würde, dass der Untersucher aber recht sympathisch aussehe. Mit Sympathien für die Linke meint er einen breiten politischen Sektor, dessen rechte Seite bis an den gemäßigten Flügel der Rechtspartei heranreicht. Er leitet das Gespräch mit einigen Worten über die Balten ein, geht aber schnell zu etwas anderem über: es sei ein furchtbares Verbrechen gewesen, die Deutschen auszuliefern. Zum Ausgangspunkt des Gesprächs kommt er in der Folgezeit nicht mehr zurück. Die Balten-Affäre sei ein Fehler der Sozis gewesen, aber auch ein Fleck auf der schwedischen Offiziersehre. Er hat die Auslieferung aus nächster Nähe beobachtet, jedoch nicht in verantwortlicher Stellung. Er hat ein starkes Nationalgefühl. Nationale Gefühle sind in seinem Fall keine Sache der Ergebenheit einem bestimmten Land gegenüber oder einer bestimmten Tradition; mütterlicherseits hat er ein anderes Heimatland als Schweden, und er ist in beiden Vaterländern Nationalist. Darüber hinaus ist er auch in Finnland kürzere Zeit Nationalist gewesen. Der Nationalismus ist bei ihm eine konstitutive Eigenschaft, beweglich, verpflanzbar. An welches Land er sich heftet, ist für den betreffenden Staat nur ein Glücks- oder Zufallstreffer. Die russische Annexion der baltischen Staaten betrachtet er vorwiegend als militärstrategische Katastrophe für Schweden. Vor 1940 habe die schwedische Flotte in der Ostsee eine zentrale Rolle gespielt; die Russen seien zur Statisterie verurteilt gewesen. Nach 1940 habe sich die strategische Lage vollkommen geändert, Schweden sei zu einem maritimen Kleinstaat geworden, was eine Tragödie sei. Die Russen seien Viecher, Monstren. Nur von der einfachen Landbevölkerung könne man sagen, dass sie gutmütig sei. Dieser Mann lässt sich ohne Ausrutscher in einfache Verallgemeinerungen, in die Karikatur oder in die Ironie unmöglich beschreiben. Er ist wie so viele andere Menschen, die in unserer Gegenwart an verantwortlicher Stelle tätig sind, eine allzu gekünstelte und literarische Konstruktion des neunzehnten Jahrhunderts, er ist allzu einfach, um glaubwürdig zu erscheinen, und muss daher aus der Untersuchung ausscheiden.
Wehrpflichtiger Wachposten im Lager von Ränneslätt, heute 43 Jahre alt. Wünscht
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