Die Ausgelieferten
durchgeführt wurde und bei der er als Zeuge aussagte. »Dann kam ja dieser Staatsanwalt und leitete die Untersuchung; die Offiziere hielten aber ganz schön zusammen und behaupteten steif und fest, es sei immer korrekt zugegangen.«
Die Balten seien – Gerüchten zufolge – »ziemlich mürrisch« gewesen. G. kann sich nicht näher ausdrücken, wiederholt aber mehrmals, dass sie nicht wie die anderen gearbeitet hätten. Er sagt, es sei ihm eigentlich scheißegal gewesen, was sie getan oder nicht getan hätten.
Bei der Räumung des Lagers war er nicht anwesend.
Johan G. ist gegenwärtig Eigentümer eines Rundfunk- und Fernseh-Geschäfts. Er lebt in einer Zweizimmer-Wohnung (plus Küche und Bad), ist verheiratet, hat aber keine Kinder. Er wohnt in einer Gemeinde mit etwas mehr als dreitausend Einwohnern. Seine Frau ist Krankenschwester. Er selbst verdient »mindestens so viel wie ein Volksschullehrer«.
Er stammt aus einem sozialdemokratischen Elternhaus, hat zunächst jahrelang die Sozialdemokraten gewählt (»Das war noch zu der Zeit, als die Brüder sich anstrengten«). Ist allmählich auf die Linie der folkparti, der liberalen Partei, eingeschwenkt. Begründung: »Die Sozis haben so lange an der Macht gesessen, dass sie mit dem Arsch festzukleben scheinen.« Äußert Widerwillen gegen folgende schwedische Politiker: Palme, Holmberg, Erlander, Geijer sowie gegen einen Zentrums-Mann – er kommt nicht auf den Namen. Wigforss hält er für einen »recht ordentlichen Mann«. Ohlin, dem Parteichef der Liberalen, steht er fragend und unschlüssig gegenüber. Kommt in diesem Zusammenhang auf die Frage eines kommerziellen Fernsehens zu sprechen; die Linie der Regierung greift er heftig an und befürwortet »eine Alternative zum staatlichen Monopol«. Die folkparti setze sich für ein nichtstaatliches Programm ein, »für ein besseres Programm also, das für die Zuschauer außerdem billiger würde«. Er spricht gern über Politik, seine Rede ist mit halb anonymen Zitaten gespickt, die seltsam vertraut klingen.
Er glaubt nicht, durch die Balten-Affäre in seinen politischen Anschauungen beeinflusst worden zu sein.
Während des ersten, sehr kurzen Zusammentreffens spricht er über den Abscheu, mit dem er die Auslieferung verfolgt habe. Bei der zweiten Begegnung, die an einem Abend und in einer gelockerteren Atmosphäre stattfindet, bröckelt seine Maske immer mehr ab, und schließlich gibt er zu, »über ihr Verschwinden recht froh« gewesen zu sein. Dann verbessert er sich rasch. »Nicht alle, einige hätten ruhig hierbleiben können. Es gab aber eine verdammte Menge Quislinge und Nazis in diesen Lagern.« Über die Sowjetunion hat er keine bestimmte Meinung. »Damals, nach dem Krieg, wusste man ja so wenig. Später ist es den Russen wohl besser gegangen. Heute scheint es ihnen ja ganz gut zu gehen. In China ist es doch schlimmer, nicht? Aber die Amerikaner taugen ja auch nicht viel.«
Äußert dann die Meinung, dass »die Politik Sache der Politiker« sei. »Die kriegen ja dafür bezahlt, warum soll ich mir dann den Kopf zerbrechen …«
Während des Abends erzählt er noch eine Reihe weiterer Geschichten, die über die Stimmung im Lager Aufschluss geben sollen. Danach geht er zu einer allgemein gehaltenen Analyse des schwedischen Offizierskorps über. »Die saßen oben in Norrbotten und warteten auf den Russen, obwohl jedes Kind wusste, dass wir vor Hitler hätten Angst haben müssen. Das grenzt schon an Verrat, finde ich, aber heute spricht natürlich kein Aas mehr darüber.« Er meint, dass die vorgeschlagene Beschneidung des Verteidigungsbudgets »einiger Gedanken wert« sei.
Johan G. hat davon gehört, dass die Deutschen in Ränneslätt auch Zugang zu Mädchen hatten, wenn sie welche haben wollten. »In einem Haus in der Nähe des Lagers gab es ein richtiges Bordell; die Wachposten haben sie immer hingebracht.« Er hört ungeduldig der Wiedergabe einer anderen Version zu, die nicht so sehr nach Kolportage klingt, und erwidert, er könne noch ganz andere Sachen erzählen, habe aber keine Lust dazu.
Johan G. ist heute sechsundvierzig Jahre alt. Im Wohnzimmer befinden sich zwei Teppiche, ein Stilleben, vier andere Reproduktionen sowie Möbel des Standard-Typs; der Versuch, den Mann an Hand seiner Umgebung zu beschreiben, ist unmöglich. Er sagt, dass er sich an die Ereignisse in Ränneslätt recht gut erinnern könne. Leider habe er nicht genügend interessante Informationen zu bieten. »Wir hingen ja immer
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