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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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sind innerhalb weniger Tage liquidiert worden. Die scheinbare Freiwilligkeit kann keinen Beobachter täuschen. Wir wissen heutzutage nur zu gut, wie eine solche Freiwilligkeit vorgetäuscht werden kann. Hier ist eine höchst merkwürdige Staatskunst am Werk, die leicht zu durchschauen ist.« Undén sprach nur vom Baltikum, schien mit seinen Worten aber auch noch etwas anderes ausdrücken zu wollen. Man schrieb den August 1940, die Deutschen hatten Norwegen und Dänemark besetzt. Undén hatte heftig gegen diese Besetzung sowie gegen die schwedische Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen der Deutschen Stellung genommen und war damit in der schwedischen Regierung untragbar geworden. Was steckte hinter dem, wovon er sprach? »Wenn eine bedrohlich schützende Großmacht einem kleineren Staat gegenüber ihre wirklich gefährlichen Forderungen vorbringt, gibt es in dem kleineren Land mitunter eine gewisse Empfänglichkeit für den Gedanken, dass selbst sehr große Nachgiebigkeit besser sei als Krieg. Wenn die Nachgiebigkeit aber bedeutet, dass der kleinere Staat dem mächtigen Beschützer innerhalb seiner eigenen Grenzen freiwillig und widerstandslos Gelegenheit gibt, Fuß zu fassen, hat sich der kleinere Staat mit der Politik des trojanischen Pferdes in vergröberter Form abgefunden. Die nächste Phase des Geschehens wird sich so abspielen, dass die kleinere Nation sogar der Möglichkeit beraubt wird, für ihre eigene Freiheit in den Kampf zu ziehen.« Dies war eine ausgezeichnete Rede, wenn man davon absieht, dass sie in Form einer Allegorie gehalten wurde. Undén sprach also von der Erfüllungspolitik Schwedens gegenüber Deutschland und der Gefährlichkeit solchen Handelns, lief aber gleichzeitig Gefahr, beim Wort genommen zu werden.
    Am 23. November 1945 wurde die Balten-Frage zum erstenmal im Reichstag behandelt, als die Regierung in einer Fragestunde auf Anfragen des Abgeordneten der folkparti Åke Holmbäck und des Abgeordneten der högerparti Elis Håstad antwortete. In der ersten Kammer verlas Per Albin Hansson die Erklärung der Regierung, in der zweiten Kammer Östen Undén.
    Die Regierungserklärung beleuchtete den Hindergrund, das gesamte Geschehen seit jenen Tagen, als die Deutschen in kleinen Booten nach Schweden geflohen waren; erwähnt wurden auch der russische Vorstoß vom 2. Juni, die Behandlung der Frage durch den Außenpolitischen Ausschuss am 11. Juni, der endgültige Beschluss der Koalitionsregierung vom 15. Juni und die Antwort an die Russen. »Ursprünglich hatte man die Absicht, die Flüchtlinge sofort in die russische Zone zu schicken; verschiedene Umstände haben aber zu einer Verzögerung des Transports geführt. Er soll jetzt in Übereinstimmung mit der Sowjetunion in der nächsten Zeit stattfinden.«
    Ferner wurde festgestellt, dass es der schwedischen Regierung Anfang Juni unmöglich gewesen sei, auf alle Nationalitäten in deutscher Uniform Rücksicht zu nehmen. Weiter hieß es:
    »Das Waffenstillstandsabkommen verpflichtete alle deutschen Truppen, an den jeweiligen Frontabschnitten zu bleiben und die Waffen niederzulegen. Obwohl Schweden durch dieses Abkommen nicht gebunden war, wollte die schwedische Regierung nicht daran mitwirken, dass sich deutsches Militärpersonal den Folgen der Kapitulation entzog.« Die Erklärung schloss mit der Feststellung, die Regierung gehe davon aus, dass die baltischen Kriegsgefangenen nicht anders zu behandeln seien als normale Kriegsgefangene.
    Ivar Anderson erwiderte sofort: »Was wissen wir denn über die Behandlung normaler Kriegsgefangener und das Schicksal, dem sie entgegengehen? Was diese Sache für uns so beklemmend macht, ist das Gefühl, dass wir hier im Begriff sind, Menschen auszuliefern, die nichts anderes wollten, als für die Freiheit und die Unabhängigkeit ihres eigenen Landes zu kämpfen.«
    Anderson war ebenso wie Richard Sandler Mitglied des Außenpolitischen Ausschusses gewesen, und in der ersten Kammer kam es zu einer Diskussion über das, was in der Juni-Sitzung gesagt worden war. Richard Sandler wollte sich an der Debatte nicht beteiligen, äußerte aber sein Verständnis gegenüber der Unruhe, die der Auslieferungsbeschluss hervorgerufen hatte.
    »Dass diese Angelegenheit im Außenpolitischen Ausschuss erörtert worden ist und dass man von einer kollektiven Mitverantwortlichkeit sprechen könnte, erlaubt meiner Ansicht nach nicht die Schlussfolgerung, dass das irgend etwas ändert oder die Sache an sich besser macht. Und selbst

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