Die Ausgelieferten
Hände wollen wir nun diese unsere unglücklichen Brüder befehlen und sie in einer stillen Minute in unsere Fürbitte einschließen.«
Ausschnitt aus einem auf Band genommenen Interview mit Pastor John Stahle und Unterpfarrer Brodin, das in dem Fernsehbericht »Sie flohen vergebens« vom 23. Dezember 1964 gesendet werden sollte. Ursprüngliche, nichtbeschnittene Version. Interviewer: John Sune Carlsson. Überschrift: Beschreibung einer nächtlichen Begegnung auf dem Marktplatz von Eksjö.
Stahle: – Ja, wir hatten … es war ein angenehmer Abend zu Hause im Pfarrhaus; wir haben Gänsebraten gegessen. Beim Essen kommt plötzlich ein Ferngespräch aus Stockholm. Bischof Danell ruft an und teilt uns den Auslieferungsbeschluss mit; wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um einen Proteststurm auszulösen. Ich ging nachdenklich zu meinen Gästen zurück. Sie fragten sich, was für ein Gespräch ich wohl geführt haben mochte, denn ich schwieg lange. Schließlich musste ich doch berichten, was vorgefallen war, was eine gewisse Verstimmung hervorrief, aber schließlich wurden wir uns einig, dass irgend etwas geschehen musste. Schon am kommenden Tag, wenn ich mich recht entsinne, kamen wir Amtsbrüder überein, diese Aktion gemeinsam in Gang zu bringen. Sie begann mit dem ersten Protesttelegramm, das wir gemeinsam verfassten und abschickten.
Brodin: – Ich wurde ebenfalls angerufen, und zwar von Hauptpastor Olle Nystedt aus Stockholm, der mich aufforderte, alle möglichen Organisationen zu mobilisieren, Frauen, Politiker, gemeinnützige Vereine, ja, überhaupt alles, was in einer kleinen Stadt aufzutreiben war; alle sollten sich für diese Aktion einsetzen. Ich erinnere mich an einen Redakteur, der mich anrief und fragte, ob wir keine Unterschriftenlisten auslegen wollten, und zwar in den Läden und Geschäften. Ich glaube, das geschah auch.
Stahle: – Ja, und damit war die Protestaktion in vollem Gange. Sie dehnte sich ja auf ganz Schweden aus, bekam ein unerhörtes Echo. Hier in Eksjö standen wir im Mittelpunkt des Geschehens, und wir waren uns unserer Verantwortung bewusst. Wir haben viele wunderbare Erinnerungen an unsere Balten, an die Zeit, die wir mit ihnen verbringen durften. Ich denke da besonders an den Tag, an dem die Gemeindemitglieder von Eksjö Blumen in das Lager schickten, Blumen, an denen blau-gelbe Bänder hingen. Dieser Blumengruß fand unter der Bevölkerung ein so großes Echo, dass die Blumenläden vollständig geräumt wurden. Später hieß es übrigens, dass die Balten, nachdem sie sich an Bord des Schiffes befanden, das sie nach Russland bringen sollte, Schweden mit diesen blau-gelben Bändern einen letzten Abschiedsgruß zuwinkten.
Brodin: – Am ergreifendsten war wohl jener Abend, der Sonntagabend, als die Nachricht telefonisch von Haus zu Haus ging und wir uns später auf dem Marktplatz versammelten. Du musst die Meldung recht früh bekommen haben, nicht wahr, weil du noch Zeit hattest, eine kleine Rede vorzubereiten?
Stahle: – Ja, ich bekam sie recht … aber es ging ja alles so improvisiert zu, dass man … in dieser recht ernsten Stimmung musste man erst einmal seine Gedanken ordnen und den Leuten erzählen, was im Gange war.
Brodin: – Ich glaube, wir waren in dieser Nacht unerhört ergriffen, und ich muss sagen, dass ich dich damals sehr bewundert habe, weil du noch fähig warst, zu den Menschen zu sprechen. Ich habe später noch darüber nachgedacht: es war eine sehr gute Rede, die du damals in der kurzen Zeit ausgearbeitet hattest.
Stahle: – Du wirst dich erinnern, dass wir nach unserem ersten Protesttelegramm an König und Regierung eines Nachts plötzlich angerufen wurden. Frau Helga Sjöstrands Anruf war der erste, und dann ging …
Brodin: – Hat sie dich angerufen?
Stahle: – Ja.
Brodin: – Und wollte, dass du zu den Menschen sprechen solltest, nicht wahr …
Stahle: – Ja, genau das, und anschließend ging die Nachricht telefonisch von Haus zu Haus, und so wurdest auch du unterrichtet.
Brodin: – Ja, ich erinnere mich, dass Frau Cederskjöld zu mir ins Haus kam oder mich anrief; ich weiß es nicht mehr genau. Aber sie war ja auch sofort der Meinung, dass etwas getan werden müsste, und wir führten einige Gespräche und brachten den Stein so ins Rollen …
Stahle: – Und dann begaben wir uns schnell zum Marktplatz …
Brodin: – … und nach und nach kam eine recht ansehnliche Schar zusammen. Wie viele es waren, ist im
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