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Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)

Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)

Titel: Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joelle Charbonneau
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müssen, an deren Seiten die Gebäude dicht an dicht stehen. Ohne besonderen Grund wenden wir uns nach rechts und gehen zu Fuß weiter. Unsere Räder schieben wir. Ich bin froh darüber. Mein Arm tut mir immer stärker weh, ebenso der Rest meines Körpers. Die Medikamente halten die schlimmsten Schmerzen eine Weile lang im Zaum, aber sie kehren immer wieder. Vielleicht verschafft das Laufen meinem Körper ein wenig Ruhe, sodass er gegen die Infektion ankämpfen kann.
    Einige Häuserblöcke haben wir bereits im Zickzackkurs passiert, als ich frage: »Glaubst du, die Menschen, die die Bomben auf diese Stadt abgeworfen haben, haben wirklich begriffen, welchen Schaden sie anrichten? Haben sie verstanden, dass ein Sieg bedeutet, alles und jeden zu vernichten – am Ende auch sich selbst?«
    Tomas zuckt mit den Schultern. »Spielt die Antwort irgendeine Rolle?«
    »Möglicherweise«, entgegne ich. In den letzten Wochen habe ich viel über diese Frage nachgedacht. Vielleicht, weil das Ende des Prüfungsteils näher rückt und deshalb auch die Chancen steigen, dass wir zu den zukünftigen Anführern unserer Generation gehören werden. Viele der anderen Kandidaten haben deutlich ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass der Zweck die Mittel heiligt. Mir fällt das schwer zu glauben, aber eins ist gewiss: Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern. Das beweisen meine eigenen Albträume ganz eindringlich. Während ich in manchen Nächten keinen Schlaf mehr finden konnte, ist mir klar geworden, dass die Dauer dieser letzten Prüfung nicht willkürlich gewählt ist. Der dritte Testteil hat den Prüfern ermöglicht, alles zu erfahren, was sie über unsere Fähigkeiten, anderen zu vertrauen, strategisch zu denken und zu kooperieren, herausfinden wollen. Nach unserem Verhalten während jener Prüfung konnten die Offiziellen zweifellos vorhersagen, welche Kandidaten die zur Verfügung gestellten Waffen zum Überleben nutzen und welche sie im Laufe der nächsten Wochen gegen ihre Mitstreiter einsetzen würden, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Zwar testet dieser vierte Teil der Auslese viele ähnliche Aspekte ab wie die vorausgegangenen Tests, aber er ist auch dazu gedacht, nicht nur die Entscheidungen zu bewerten, die wir treffen, sondern auch, wie wir mit ihnen im Nachhinein umgehen. Lernen wir aus unseren Fehlern und benutzen neue Informationen, um heil bis ans Ende dieser Prüfung zu kommen, oder lassen wir uns davon erdrücken? Die Schatten unter Tomas’ Augen und die Art, wie er seine Schultern hängen lässt, zeigen mir, dass er erdrückt zu werden droht.
    Das Bild von Rymes leblosem Körper steigt vor meinem geistigen Auge auf, und ich spüre einen angstvollen Stich. Ryme hat sich völlig auffressen lassen von den Zweifeln, die sie plagten. Ich bin mir zwar nicht sicher, welche Erinnerungen Tomas so quälen, aber ich sehe an der Verzweiflung in seinem Blick, dass ihm die unmittelbare Vergangenheit gefährlich werden könnte. Keine Ahnung, was er getan hat, aber was immer es auch war, er verdient es nicht, ein Opfer der Auslese zu werden.
    Ich hole tief Luft und sage mit fester Stimme: »Der ganze Sinn und Zweck dieses Prüfungsteils besteht doch darin zu sehen, welche schrecklichen Dinge getan wurden, und aus diesen Fehlern zu lernen. Stimmt doch, oder?« Tomas legt den Kopf schräg, und ich fahre fort: »Die besten Anführer haben falsche Entscheidungen getroffen und ihre Lehren daraus gezogen. Die besten Anführer werden denselben Fehler nicht zweimal machen. Man kann nur lernen, wenn man die Fehler begreift, die begangen wurden.«
    Tomas starrt lange Zeit eine Straße hinunter, die beim Krater endet, und denkt über meine Worte nach. Als er mir den Kopf schließlich wieder zuwendet, kann ich sehen, dass er schon etwas weniger gehetzt aussieht. »Ich denke, die Anführer wussten, dass sie die Gebäude zerstörten und die Menschen in der Stadt töteten. Was den Rest angeht …« Er seufzt. »Ich kann einfach nicht glauben, dass sie vorhatten, die Welt, in der sie selber auch weiterhin leben wollten, vollständig zu vernichten. Sie müssen irgendwann gemerkt haben, dass sie einen Fehler machen. Sie wussten nur einfach nicht, wie sie den Lauf der Dinge noch aufhalten sollten.«
    Ich lasse den Blick über die Gebäude wandern und nicke. »Vielleicht ist es das, was einen echten Anführer ausmacht. Dass er zugeben kann, etwas falsch gemacht zu haben, und dann einen Weg findet, die Entwicklung zu stoppen, koste es,

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