Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
und fällt klappernd auf die Straße.
»Heb es auf. Wir können ihnen nicht helfen, Cia. Wir müssen weg von hier.«
Ich bin kurz davor, das Gleichgewicht zu verlieren, als ich noch beim Aufsteigen hinter mich schaue und Brick dazu zu bringen versuche aufzuhören. Aber ich habe keinen Erfolg. Gewehrsalven hallen weiter durch die Straßenflucht. Wie viele Tote gibt es? Und alles meinetwegen. Weil ich Bricks Leben gerettet habe und er jetzt glaubt, sich bei mir dafür revanchieren zu können.
Mehr als einmal höre ich auf, in die Pedale zu treten, weil ich vom ganzen Ausmaß des Massakers, das ich gerade mit angesehen habe, überwältigt werde. Tomas’ geduldige Stimme treibt mich immer wieder vorwärts. Dabei will ich mich doch nur zusammenrollen und weinen.
Und bald schon kann ich genau das tun. Am Rand der Stadt entdeckt Tomas ein kleines Gebäude, das gut erhalten aussieht, und besteht darauf, dass wir uns hier für die Nacht einrichten. Der sintflutartige Regen hat endlich aufgehört, aber unsere Kleidung, Haare und Schuhe sind völlig durchweicht. Im Haus findet Tomas genug Holz, um auf dem Steinboden in der Nähe eines Fensters ein Feuer zu machen, und er überredet mich, aus meinen klatschnassen Sachen zu schlüpfen. Ich mache, was er sagt, auch wenn mein anderes Hemd voller Flecke von meinem ersten Zusammenstoß mit diesen Leuten ist – einem Zusammenstoß, bei dem auch ich zur Mörderin geworden bin.
Mir ist nicht nach Essen zumute, und so ziehe ich meine Beine fest an die Brust und starre ins Feuer, während ich mir vorzustellen versuche, wie meine Familie sicher und warm vor unserem Kamin sitzt. Tomas besteht darauf, meinen Arm zu versorgen. Er holt einige Schmerztabletten aus meiner Tasche und drängt mich, sie zu schlucken. Vielleicht können sie meinen Körper dazu bringen, nicht mehr so zu zittern. Noch immer dröhnen Donnerschläge durch die Straßen der Stadt, während Tomas mich in seinen Armen hält und mir immer wieder sagt, wie sehr er mich liebt, während ich mich in den Schlaf weine.
Meine Träume sind erfüllt von Gewehrfeuer und Blutströmen. Als ich aufwache, wird mir klar, dass diese Träume ihren unmittelbaren Ursprung in der Realität haben, und eine Welle von Übelkeit steigt in mir auf. Ich weiß, dass ich etwas zu mir nehmen muss, aber mein Magen zieht sich zusammen beim bloßen Gedanken an Fleisch. Ich zwinge mich, eine Birne zu essen, und trinke etwas Wasser. Unsere Stiefel sind noch immer feucht, aber wir schlüpfen hinein, packen unsere paar Habseligkeiten und treten nach draußen. Der Himmel ist strahlend blau, der Wind kühl und erfrischend. Wir entdecken sogar ein paar Blumen, die unter der gleißenden Sonne aufgeblüht sind. Ein vollkommener Tag, der die furchtbaren Ereignisse des Vorabends zu verhöhnen scheint.
Aus alter Gewohnheit werfen wir einen Blick auf die Karte, schieben unsere Fahrräder zur Straße, steigen auf und radeln los. Dem Transit-Kommunikator nach zu urteilen, liegen nicht einmal mehr zweihundert Meilen vor uns, ehe wir das Ende der Prüfung erreicht haben. Wir treten kräftig in die Pedale, zum einen um endlich Tosu-Stadt zu erreichen, aber auch um das Feld der Toten möglichst weit hinter uns zu lassen. Als wir eine Steigung hinauffahren, können wir sehen, dass die Grenzlinie von Norden her auf uns zuläuft. Nun trennt vielleicht nicht einmal mehr eine Meile die beiden Zäune. Unsere Prüfer wollen offensichtlich, dass die übrig gebliebenen Kandidaten aufeinandertreffen. Ich frage mich, ob die Offiziellen überhaupt noch eine Auswahl treffen müssen, wenn das hier alles vorbei ist. Nach dem, was ich unterwegs zu sehen bekommen habe, würde es mir wie ein Wunder vorkommen, wenn mehr als zwanzig von uns lebend die Ziellinie überqueren sollten.
Wir radeln den ganzen Tag und legen nur minimale Pausen ein. Mein Arm ist schlimmer geworden. Ich schwitze beim Fahren, und die Finger meiner linken Hand verlieren ihren sicheren Griff. Nur mit größter Willenskraft zwinge ich meine Beine dazu, stetig weiterzustrampeln. Ich will unsere Räder dazu bringen, sich auf dieser Zielgeraden immer schneller und schneller zu drehen. Tagsüber treffen wir keine anderen Kandidaten. Als wir haltmachen, liegen noch hundertfünfzig Meilen vor uns. Tomas hält mich in dieser Nacht ganz fest, küsst mich zärtlich und flüstert mir ins Ohr, dass wir es bei diesem Tempo in drei Tagen nach Tosu-Stadt schaffen müssten. Nur noch drei Tage. Ich sage mir, dass ich so lange
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