Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
getragen habe, sorgfältig zusammen und verstaue alles in meiner Tasche. Ryme zieht eine Augenbraue hoch, als sie sieht, wie ich alles wieder einpacke, verliert aber kein Wort darüber. Sie trägt ein langes butterblumengelbes Kleid und glänzende weiße Schuhe. Sie hat sogar ein wenig Lippenstift benutzt und Lidschatten aufgelegt.
Quer durch den Raum kann ich hören, wie ihr Magen knurrt, aber mir entgeht nicht, dass sie ihre Getreidekekse nicht anrührt. Vielleicht bin ich schon paranoid, aber ich zähle sie rasch. Es sind neun. Wenn morgen immer noch neun von ihnen da sind, dann weiß ich mit Sicherheit, dass ich Ryme weder meine Besitztümer noch meine Geheimnisse anvertrauen kann.
Ich drehe das Armband an meinem Handgelenk, sodass die Gravur zu sehen ist. Dann überprüfe ich noch ein letztes Mal meine Tasche und hänge sie mir über die Schulter. Ryme läuft gemeinsam mit mir zum Speisesaal und schlägt die Einladungen von anderen, sich ihnen anzuschließen, aus. Ich bin mir nicht sicher, warum sie so an mir klebt, aber ich schätze, sie ist neugierig und will die anderen Kandidaten aus der Five-Lakes-Kolonie kennenlernen. Nach dem, was sie letzte Nacht erzählt hat, stehen die übrigen Kolonien untereinander in Kontakt. Five Lakes ist hingegen für alle völlig unbekannt.
Ich fülle meinen Teller mit Erdbeeren, orangefarbener Melone, einem Brötchen, das würzig und süß duftet, und zwei Streifen knusprigen Schinkenspecks. Ryme zieht mich damit auf, dass mir meine Nervosität wohl den Appetit verschlagen habe. Sie selbst häuft sich Pfannkuchen, Waffeln, Eier, Würstchen und Bratkartoffeln auf ihren Teller. Wir nehmen uns jede ein Glas Milch, dann halte ich Ausschau nach meinen Kameraden aus Five Lakes. Sie sitzen am selben Tisch wie gestern, umgeben von einigen unbekannten Gesichtern.
Ich bin nicht die Einzige, die plötzlich Anhang hat.
Malachi und Zandri stellen uns ihre Zimmergenossen vor – Boyd und Nicolette. Sie haben beide dunkle Haare, braune Augen und sonnengebräunte Haut. Ich bin nicht überrascht, als ich erfahre, dass sie aus derselben Kolonie im Südosten, Pine Bluff, kommen. Boyd ist in Zandris Gruppe. Nicolettes Armband kann ich nicht besonders gut sehen. Ihr Kleid hat lange hauchdünne Ärmel, die immer wieder das Band verdecken. Ich meine aber, dass es eine Art Herz ist. Ich nehme neben Tomas Platz, der der einzige andere Kandidat aus Five Lakes ist, der seine Tasche über seiner Schulter trägt. Allerdings bemerke ich, dass mindestens ein Drittel der Prüflinge aus den anderen Kolonien, auch die beiden an unserem Tisch, ihre Sachen ebenfalls mitgebracht haben.
Ich lasse das Gespräch um mich herumplätschern, esse kleine Bissen von den süßen Früchten auf meinem Teller und versuche, nicht darüber nachzudenken, was gleich auf uns zukommen wird. Wenn das, was ich bis jetzt gelernt habe, nicht ausreichen wird, dann werde ich das nicht mehr ändern können.
Bis ich mit meinem Frühstück fertig bin, habe ich erfahren, dass Nicolette und Boyd Cousin und Cousine sind. Ihre beiden Familien bewirtschaften eine Reisfarm und haben mit der Bewässerung zu kämpfen. Ich habe noch nie Reis gegessen und weiß praktisch überhaupt nichts darüber. Auch Tomas ist damit nicht vertraut, aber es entspinnt sich trotzdem eine lebhafte Diskussion über Bewässerungssysteme. Boyds Ideen habe auch ich einiges hinzuzufügen.
Unser Gespräch ist so angeregt, dass ich meine Angst ganz vergesse, bis eine Stimme verkündet: »Die Kandidaten für die Auslese melden sich bitte am Tresen bei den Aufzügen. Dort werdet ihr zur ersten Runde eurer Tests geschickt werden. Alles Gute.«
Mein Herz rutscht mir bis in den Magen, sodass mir mein Frühstück wieder hochzukommen droht. Eine Hand greift nach meiner und hält sie ganz fest. Als ich mich umdrehe, sehe ich in Tomas’ Augen. Ist er nervös? Ich kann es nicht sagen. Aber ich bin froh über die Wärme und den festen Händedruck, als ich aufstehe. Fast alle Mädchen tragen ihr schönstes Kleid und die glänzendsten, am wenigsten abgetretenen Schuhe. Ich würde mich in meinem Aufzug völlig fehl am Platze fühlen, wenn nicht Tomas neben mir stünde. Seine schwarzen Schuhe sind ausgelatscht, sein Baumwollhemd und seine braune Hose sind ausgeblichen. Ganz egal welche Prüfung auf uns wartet – ich bin mir praktisch sicher, dass Tomas und ich die Einzigen sein werden, die sich während der Prüfung in ihrer Kleidung wohlfühlen.
Prüfer, gekleidet in purpurne
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