Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
unterhalten und sich gefragt, wie es sein kann, dass schon seit Jahren niemand mehr von euch für die Auslese ausgewählt wurde. Die meisten dachten, dass die Gründung der Kolonie ein Fehlschlag war oder dass es sie gar nicht mehr gibt.«
»O nein, die Five-Lakes-Kolonie ist durchaus noch am Leben. Sie ist nur einfach klein im Vergleich mit anderen Kolonien.«
»Dixon ist auch nicht besonders groß.« Ryme setzt sich auf ihr Bett an der gegenüberliegenden Wand und zieht ihre Beine an. »Bei uns leben ungefähr fünfzehntausend Menschen. Es ist also wirklich aufregend, dass dieses Jahr acht von uns ausgewählt wurden.«
Ihr Lächeln ist warm, und unwillkürlich lächele ich zurück. Ich lasse mich auf das zweite Bett im Raum sinken und antworte: »Für mich sind fünfzehntausend Einwohner viel. Five Lakes hat nicht einmal tausend.«
»Wie viele von euch sind denn hier?«
»Vier. Ein Viertel unserer Abschlussklasse.«
Ryme will viel über Five Lakes wissen. Wo wir angesiedelt sind, was für Nahrung wir anbauen, welche Tiere es in unserer Gegend gibt. Aus den Erzählungen über ihre eigene Kolonie schließe ich, dass Dixon ungefähr dreihundert Meilen südwestlich von Five Lakes liegt. Ihre Kolonie ist zwar größer, scheint aber weniger weit entwickelt zu sein als die unsrige. Vielleicht ist es bei so vielen Einwohnern schwieriger, mit den dortigen Ressourcen auszukommen, oder vielleicht liegt es auch daran, dass ein Großteil der erwachsenen Bevölkerung in Dixon damit beschäftigt ist, lieber Batterien und Elektrogeräte herzustellen, als die Landwirtschaft voranzutreiben. Da Rymes Familie eine Farm besitzt, muss sie nicht Hunger leiden, aber bei vielen Menschen in der nahe gelegenen Stadt sieht das ganz anders aus. Ryme berichtet, dass das Entschädigungsgeld, das ihre Eltern erhalten werden, dafür vorgesehen ist, bessere Geräte für die Landwirtschaft anzuschaffen und für bessere Möglichkeiten bei der Vorratshaltung zu sorgen. Beides wird dazu beitragen, dass ihrer Familie und ihren Nachbarn mehr Nahrungsmittel zur Verfügung stehen werden.
Ryme klingt stolz darauf, an den Verbesserungen für ihre Gemeinschaft mitwirken zu können. Obwohl ich mir fest vorgenommen habe, mich von Kandidaten von außerhalb meiner eigenen Kolonie fernzuhalten, merke ich, dass ich Ryme mag.
Die nächste Stunde lang plaudern wir über dies und das. Ryme zeigt mir die Gravur auf ihrem Armband. Ein Dreieck mit einem künstlerisch gestalteten A in der Mitte. Nicht meine Gruppe. Sie bietet mir ihre Hilfe beim Auspacken an, doch ich erkläre ihr, dass ich meine Sachen in der Tasche lasse. Wer weiß denn schon, wann für jeden Einzelnen von uns die Auslese zu Ende ist? Ryme lächelt und stimmt mir zu, aber ich sehe im Schrank neben ihrem Bett zwei prächtige lange Kleider hängen. Meine Mutter wäre begeistert von dem ersten Eindruck, den Ryme darin machen wird. Wir beide benutzen das kleine Badezimmer, das an den Schlafraum angrenzt, schlüpfen in unsere Pyjamas und steigen in unsere Betten. Ryme bittet darum, dass wir das Licht noch eine Weile anlassen. Sie sitzt im Schneidersitz, an die Wand gelehnt, und blättert ein Fotoalbum durch, das sie von zu Hause mitgebracht hat. Mein Herz wird schwer, als ich die Tränen in ihren Augen sehe, und ich muss daran denken, dass auch ich Abschied von meiner Familie genommen habe. Normalerweise würde meine Mutter jetzt vor dem Feuer sitzen und mich fragen, wie mein Tag gewesen sei. Mein Vater würde mit meinen Brüdern über die Arbeit plaudern, während wir alle zusammen am Küchentisch sitzen und Karten spielen würden. Ich schlucke den Anflug von Heimweh hinunter und sage Ryme, sie solle die Lampe so lange anlassen, wie sie wolle, ehe ich mich unter meiner Bettdecke zusammenrolle.
Ryme bedankt sich bei mir. Gerade will ich meine Augen schließen, als sie hinzufügt: »Ich habe einige Getreidekekse von zu Hause mitgebracht, die ich selber gebacken habe. Wenn du Hunger bekommst, kannst du dich gerne bedienen.«
Ich presse meine Tasche eng an mich, ehe ich einschlafe.
Meine Träume sind wirr und bedrückend, aber ich kann mich nicht an sie erinnern, als ich von einer Stimme aufwache, die uns über Lautsprecher mitteilt, dass wir eine Stunde Zeit haben, um uns anzuziehen und zu frühstücken, ehe die erste Phase der Auslese beginnt. Ich ziehe eine dunkelbraune Hose, eine cremefarbene Tunika und meine Stiefel an. Dann lege ich mein Nachtzeug, die Hose und das Oberteil, die ich gestern
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