Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
passieren könnte, Sorgen zu machen wird mir bestimmt nicht dabei helfen, bei diesem Test gut abzuschneiden. Ruhig atmen, mich konzentrieren und mich entspannen – das sind die Dinge, die meinen Verstand am besten arbeiten lassen. Ich fange mit Ersterem an: tief und langsam ein- und wieder ausatmen. Als ich nach dem gelben Bleistift greife, der auf dem Tisch liegt, sehe ich aus den Augenwinkeln, dass Tomas mich besorgt mustert. Ich werfe ihm ein Lächeln zu und schüttele den Kopf, um ihm zu bedeuten, er brauche sich keine Sorgen zu machen. Mir geht es gut. Oder sagen wir lieber: Gleich wird es mir wieder gut gehen.
Während ich darauf warte, dass die Prüfung endlich beginnt, schaue ich mir die anderen Mitglieder meiner Gruppe an. Außer mir befindet sich nur noch eine andere junge Frau im Raum. Sie hat lange rote Haare, und der Stoff ihres schwarzen Kleides bildet einen perfekten Kontrast zu ihrer hellen Haut. Sie hält ihren Rücken sehr gerade, und ihre Augen sind starr nach vorn gerichtet. Die Jungen sind nicht weniger konzentriert. Zwei von ihnen sind blond. Einer ist ebenfalls ein Rotschopf. Vier haben Haare in unterschiedlichen Brauntönen. Und dann ist da noch Tomas. Mehrere meiner Teammitglieder sind eher schmächtig gebaut, aber besonders der Rothaarige ist sehr muskulös, was wohl auf ein arbeitsreiches Leben hindeutet. Ich frage mich kurz, aus welcher Kolonie er wohl kommen mag. In diesem Moment betritt ein hoch aufgeschossener, kahlköpfiger Mann den Raum, ganz in Purpur gekleidet und mit einem dicken Papierstapel unter dem Arm.
Die Testunterlagen.
Papier ist in unserer Gemeinschaft ein kostbares Gut, weil so viele Bäume in den Sieben Stadien des Krieges vernichtet wurden. In der Schule wird der Papierverbrauch sorgfältig überwacht. Papier, das benutzt und danach nicht mehr benötigt wird, schickt man in die Omaha-Kolonie, damit es dort recycelt wird.
Schweigend macht der Prüfer seine Runde durch den Raum und bleibt an jedem Tisch kurz stehen, ohne irgendeinem Kandidaten in die Augen zu blicken.
Ein dickes Heft landet auf der schwarz glänzenden Tischplatte unmittelbar vor mir. Auf dem Umschlag steht Geschichte . In der rechten Ecke sehe ich das gleiche Symbol wie auf meinem Armband – den achteckigen Stern mit einem Blitz in der Mitte. Es juckt mir in den Fingern, die Prüfungsunterlagen aufzuschlagen und einen Blick auf das zu werfen, was mich erwartet, doch das tut keiner der anderen Kandidaten. Und so warte auch ich mit klopfendem Herzen ab.
Der Prüfer steht nun wieder vorn. Ohne sich vorzustellen, sagt er: »Beantwortet die Fragen so gut, wie es euch möglich ist. Wenn ihr Wasser trinken wollt, hebt die rechte Hand, dann wird euch etwas gebracht. Wenn ihr austreten müsst, hebt eure linke Hand, und ihr werdet von einem Offiziellen zu den Toilettenräumen und wieder zurück in diesen Raum geführt. Ihr habt vier Stunden Zeit, und zwar ab jetzt.«
Er drückt einen Knopf vorn an der Wand, woraufhin sich ein kleiner Bildschirm von der Decke senkt. Eine Stoppuhr, die rückwärts läuft.
Unsere Zeit hat begonnen.
Mit zitternden Fingern schlage ich die erste Seite des Heftes auf.
Aufgabe: Erkläre das Erste Stadium des Krieges der Nationen.
Antwort: Die Ermordung von Premierminister Chae, wodurch die Asiatische Allianz gesprengt wurde, führte zu einem Machtkampf zwischen den anderen Nationen und gipfelte in einem Bürgerkrieg. Während dieses Bürgerkriegs wurden Bomben auf die koreanischen Staaten abgeworfen, die einen Großteil der Bevölkerung auslöschten und die Schmelze von zwei Kernreaktoren verursachten.
Aufgabe: Nenne die beiden Städte der Nordamerikanischen Allianz, die als Erste von der Koalition des Mittleren Osten zerstört wurden.
Antwort: Washington, D.C., und Boston.
Aufgabe: Nenne die Gruppe, welche als Erste der Nordamerikanischen Allianz den Krieg erklärte.
Antwort: Die Südamerikanische Koalition.
Fragen über Fragen, und ich kritzele die Antworten aufs Papier. Ich hoffe nur, dass ich richtigliege und die Details auswähle, die das Prüfungskomitee erwartet. Fragen über die Bomben, die abgeworfen wurden, über die Städte, die zerstört wurden, und über die Anzahl der Toten. Und noch mehr Fragen, über die Erdbeben, Fluten und die Stürme, die radioaktive Luft übers ganze Land verteilten. Alles Ereignisse, die die Weltbevölkerung auf einen Bruchteil reduzierten. Es verblüfft mich noch immer, dass überhaupt irgendjemand diesen Horror, den ich in meinen
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