Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
Offiziellen mir sagen, ich solle an meinen Arbeitstisch zurückkehren, wische ich mir übers Gesicht und merke, dass meine Wangen nass sind. Keine Ahnung, wie lange sie mich neben Malachis reglosem Körper haben sitzen lassen. Eine ganze Weile jedenfalls. Lange genug, damit zwei der anderen Kandidaten ihre Arbeit beenden können. Vielleicht hören die übrigen Prüflinge aber auch lieber vorzeitig auf, anstatt irgendein Risiko einzugehen – nun, wo sie gesehen haben, was Malachi zugestoßen ist.
Ein letztes Mal drücke ich Malachis Hand, streiche ihm eine dunkle Haarlocke aus der Stirn und küsse ihn auf die Wange. Der Raum schwankt und dreht sich um mich herum, als ich aufstehe. Ich brauche noch einen Augenblick, bis ich es schaffe, mit steifen Beinen zu meinem Pult zurückzukehren. Vorsichtig nehme ich auf meinem Hocker Platz und warte darauf, dass die Offiziellen Malachis toten Körper hinaustragen, aber das tun sie nicht. Noch nicht. Nicht bevor alle diesen Teil des Tests beendet haben.
Ich warte darauf, dass die anderen Kandidaten protestieren und sagen, dass das nicht in Ordnung sei. Aber ich weiß längst, dass sie das nicht tun werden. Und zwar aus dem gleichen Grund, der auch mich zum Schweigen bringt. Der Grund ist Malachis stiller, allzu stiller Körper.
Wir alle wollen leben.
Einige Minuten später hebt Will seine Hand, um anzuzeigen, dass er fertig sei. Dann schließt er die Augen, um nicht die leere Hülle des Jungen sehen zu müssen, mit dem er seine Mahlzeiten geteilt hat. Das Mädchen neben mir beendet seine Arbeit ebenfalls. Die Prüferin schaut sich die Ergebnisse an. Als sie fertig ist, gibt sie den anderen Offiziellen einen Wink, damit sie Malachi wegschaffen. Meine Kameraden bei diesem Test starren auf ihre Tische oder zur Decke hinauf.
Ich nicht.
Malachi verdient es, dass es jemand wichtig findet, ganz bewusst Abschied von ihm zu nehmen. Ich zwinge mich dazu, die ganze Zeit lang hinzuschauen. Ich sehe zu, wie sie ihn aufheben und an Armen und Beinen quer durch den Raum und zur Tür hinaustragen.
Nun ist er fort.
Uns bleibt keine Zeit zum Trauern. Schon werden die nächsten Kisten gebracht und vor uns auf den Tischen abgestellt. Dann bekommen wir das Startsignal. Meine Hände zittern, denn ich rieche die Blutflecke auf dem Boden. Ich zwinge mich dazu, tief ein- und auszuatmen und weiterzumachen, auch wenn ich nichts lieber will, als schreiend aus dem Raum zu rennen – das Gebäude zu verlassen – nach Hause zurückzukehren.
Da ich aber weiß, dass das im Moment nicht möglich ist, trockne ich meine Hände an den Hosenbeinen ab, schlucke meine Tränen hinunter und untersuche die vor mir stehende Box. Ich brauche mehrere Versuche, um herauszufinden, wie man sie öffnet. Im Innern befinden sich Bodenproben und verschiedene verschlossene Bechergläser mit Lösungen. Wir sollen jene Proben bestimmen, die kontaminiert sind.
Ich benutze nur solche Chemikalien, die ich bereits am Geruch und an der Farbe identifizieren kann. Von den zehn Proben bin ich mir bei vieren sicher, dass sie verstrahlt sind, bei dreien, dass sie nicht verseucht sind, und bei dreien bin ich mir unschlüssig und wage nicht zu raten. Wenn dies der erste Prüfungsteil gewesen wäre, wenn er vor der Pflanzenaufgabe stattgefunden und ich Malachis zuckenden, blutenden Körper noch nicht gesehen hätte, dann wäre ich vermutlich arrogant genug gewesen, Selbstvertrauen zu heucheln. Jetzt geht das nicht mehr. Malachi hat einen Fehler gemacht, der ihn das Leben gekostet hat. Es wäre sinnlos, wenn er einen solchen Preis bezahlt hätte, ohne dass ich daraus meine Lehren ziehen würde.
Nacheinander bekommen wir noch vier weitere Kisten vorgesetzt. In einer befindet sich eine Tastatur, mit der wir unsere Lösungen für komplexe mathematische Gleichungen eintippen müssen. Ich beantworte nur die Hälfte davon und bin froh, dass ich mich bei der letzten Aufgabe nicht aufs Raten verlegt habe, denn der Junge vor mir beginnt zu zittern. Elektroschock. Die Bestrafung ist keineswegs so hart wie die von Malachi, aber der Bursche kann sich kaum noch auf seinem Hocker halten, um die Arbeit an den nächsten drei Kisten durchzustehen.
Ich identifiziere drei Viertel der Gegenstände auf Objektträgern, die wir uns unter einem Gerät anschauen sollen, das wie eine Art Mikroskop aussieht. Glücklicherweise muss keiner erfahren, wie Fehler bei dieser Aufgabe geahndet werden. Dann gibt es da noch einen Konverter für Solarenergie, den ich
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