Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
mühelos zusammenbaue, während das Mädchen neben mir eine Fingerkuppe dabei einbüßt. Wir bekommen sechs Wasserproben vorgesetzt und müssen diese mithilfe der bereitgestellten Chemikalien säubern. Dieser Klärungsprozess dauert allein zwei Stunden, und wir werden aufgefordert, die Proben, die wir für unbedenklich gehalten haben, zu trinken. Ich probiere zwei. Der Junge mit dem Stromstoß und das Mädchen neben mir lassen alle stehen.
Die zweite Runde der Auslese ist vorüber.
Wir dürfen endlich den Raum verlassen.
Will kann kaum noch laufen. Ich weiß nicht, ob es am Stress liegt, am Wasser, das er getrunken hat, oder an einer Giftpflanze mit verzögerter Wirkung, die er möglicherweise zu sich genommen hat. Seine Beine zittern, als er kleine stockende Schritte macht. Ich lege ihm einen Arm um die Taille und stütze ihn auf dem Weg aus dem Prüfungsraum hinaus. In der Tür bleibe ich stehen und werfe einen letzten Blick zurück zu der Stelle, an der Malachi sterbend zu Boden gestürzt und an der sein Blut auf den Fliesen getrocknet ist. Eine Träne rollt mir über die Wange. Im Stillen sage ich Malachi Lebewohl. Dann versuche ich, meinen Atem zu beruhigen, und führe Will weg. Und die ganze Zeit über frage ich mich, wer an unserem Tisch noch alles fehlen wird.
Es ist Boyd.
Die aschfahle Nicolette berichtet uns, dass er während der dritten Prüfung plötzlich zusammengebrochen und weggebracht worden sei, um behandelt zu werden. Er sei nicht zurückgekehrt. Alle Blicke wenden sich mir und Will zu, der inzwischen zwar auf einen Stuhl gesunken ist, aber ohne Hilfe nicht aufrecht sitzen kann. Tränen steigen mir in die Augen, und Tomas nimmt meine Hand und hält sie fest. Ich bin ihm dankbar für seine wortlose Unterstützung. Und dafür, dass er überlebt hat. Ich erzähle so rasch wie möglich, was in unserem Prüfungsraum geschehen ist, denn ich sage mir, dass es wie bei einem Pflaster ist. Je rascher man es abreißt, desto weniger Schmerz verspürt man. Aber diesmal liege ich falsch. Schnell oder langsam spielt keine Rolle. Über Malachis Tod zu sprechen, das ist, als ob mir jemand ein Messer ins Herz sticht. Als ich sehe, wie Tomas die Zähne zusammenbeißt und Zandris Augen sich mit Tränen füllen, kommt es mir vor, als würde das Messer auch noch herumgedreht, bis ich das Gefühl habe, nicht mehr atmen zu können.
Die letzten Prüflinge kommen in den Speisesaal gewankt, und eine Durchsage ertönt. »Alle Kandidaten, die meinen, medizinische Versorgung zu benötigen, melden sich bitte bei den Aufzügen.«
An jedem Tisch steht mindestens ein Prüfling auf und geht hinaus auf den Gang. Nicolette rät Will, sich ebenfalls Hilfe zu holen. Er stemmt sich mühsam von seinem Stuhl hoch, doch ich drücke ihn wieder runter und sage ihm, er solle es lassen. Ich mustere prüfend sein Gesicht. Seine Pupillen sind geweitet, aber er bekommt wieder leichter Luft. Zwar ist seine Haut noch immer kalt und feucht, aber langsam kehrt Farbe in seine Wangen zurück. Mein Bauchgefühl sagt mir: Was auch immer diese Reaktion hervorgerufen hat, wird nach und nach abgebaut werden. Glaube ich, dass die richtige Medizin ihm dabei helfen würde, schneller wieder auf den Damm zu kommen? Daran besteht gar kein Zweifel. Aber ich erinnere mich auch an Dr. Barnes’ Worte draußen auf dem Gang, als man Ryme von der Decke schnitt. Dass die Tests zeigen würden, wie viel Druck ein Kandidat aushalten könne. Dass es darum ginge, jene herauszufiltern, die mit Belastungssituationen umgehen und auch in Ausnahmesituationen als Anführer auftreten können. Ich bezweifle, dass jene, die sich medizinisch versorgen lassen, für ausreichend starke Führungspersönlichkeiten gehalten und danach wieder zu uns zurückgeschickt werden.
Nicolette fleht mich geradezu an, aber ich lasse Will nicht gehen. Ich kann es nicht.
Das Abendbrot wird aufgetragen. Ich bitte Tomas, Will etwas zu essen und zu trinken zu holen. Das wird ihm sicher guttun. Ich hoffe, dass ich richtigliege.
Nachdem Will zwei Gläser Saft und einige Bissen Brot und Obst zu sich genommen hat, fühlt er sich besser. Da er inzwischen sitzen kann, ohne dass man ihn stützen muss, gehe ich nun selbst los, um mir meine Mahlzeit zusammenzustellen. Allerdings bemerke ich hinterher, dass ich mir mehr aufgetan habe, als ich wahrscheinlich schaffen werde, denn ich spüre keinen Hunger. Ich esse ein wenig Gemüse und einige Happen Hühnchen. Trinke etwas Saft. Die beiden Äpfel, die Orange,
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