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Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)

Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)

Titel: Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joelle Charbonneau
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vorgekommen ist, steht die Sonne schon sehr viel höher am Himmel, als ich näher komme und einen grauschwarzen Kirchturm aus den Überresten eines Gebäudes aufragen sehe. Wie dieser Turm die immense Zerstörung ringsum hat überstehen können, ist mir ein Rätsel. Ich frage mich, ob Tomas ihn von seinem unfreiwilligen Startpunkt aus ebenfalls sehen kann.
    Ich setze mich auf einen umgestürzten Mauerrest und nehme einige Schlucke aus meiner Wasserflasche. Die Sonne brennt heiß. Schweiß rinnt mir den Rücken runter. Ich muss unbedingt ausreichend Flüssigkeit zu mir nehmen, wenn ich diesen Teil der Ausleseprüfung überstehen will. Mein Magen knurrt, und ich breche ein kleines Stück von einem Rosinenbrötchen ab, während ich mich zu entscheiden versuche, wie lange ich hier auf Tomas warten will. Vielleicht sieht er diesen Turm gar nicht. Oder er ist zu dem Schluss gekommen, dass der Plan mit dem höchsten Gebäude als Treffpunkt zu nichts führt, und ist nun bereits auf dem Weg nach Westen zum Zaun, der unsere zweite Option ist.
    Am Stand der Sonne lese ich ab, dass es schon früher Nachmittag ist. Stunden sind vergangen, seitdem ich den ersten Schritt hinaus auf die Straßen der Stadt gewagt habe. Obwohl ich am liebsten so lange hier ausharren möchte, wie es eben dauert, Tomas ausfindig zu machen, muss ich mir doch auch einen Unterschlupf für die kommende Nacht suchen. Die Vorstellung, schutzlos draußen zu nächtigen, während die anderen Kandidaten und wer weiß was sonst noch an Gefahren in meiner Nähe herumlungern, macht mich schier verrückt vor Angst. Eine Stunde. So lange gebe ich Tomas, bevor ich diesen Ort hier verlasse. Danach werde ich weiterziehen.
    Ich beende mein kärgliches Mittagessen und beschließe, mich ein bisschen umzusehen, bis es Zeit zum Aufbruch wird. Meine Tasche hänge ich mir wieder über die Schulter und klettere über den herumliegenden Schutt. Fast wäre ich über eine Baumwurzel gestolpert und komme schließlich direkt an der anderen Seite des Turmes an.
    Und da sehe ich einen großen Metallkasten auf einer kaputten Straße.
    Den Container eines anderen Kandidaten.
    Mein Herz schlägt schneller, als ich mich langsam nähere und sorgfältig darauf achte, dass meine Schritte nicht zu hören sind. Es wäre wohl zu viel verlangt, darauf zu hoffen, dass Tomas’ Startpunkt der erste wäre, auf den ich stoße, nachdem ich meinen eigenen verlassen habe, und dass Tomas selbst sich vielleicht sogar noch im Innern seines Containers befindet, Stunden nach Beginn der Prüfung. Trotzdem muss ich einfach einen Blick hineinwerfen.
    Die Uhr an der Wand ist nicht mehr beleuchtet. Im Essenskorb finde ich nur ein weggeworfenes Apfelgehäuse und die leere Crackerschachtel. Dies ist auf keinen Fall Tomas’ Container. Er wäre niemals so leichtsinnig gewesen, Nahrungsmittel zu essen, die besser für kommende Zeiten aufgehoben werden sollten. Und auf jeden Fall hätte er das Laken von seiner Pritsche abgezogen, wie ich es getan habe. Ich überlege kurz, ob ich das hier zurückgelassene Bettzeug vielleicht auch noch mitnehmen soll, als ich draußen einen Stein über den Boden schlittern höre.
    Jemand ist dort.
    Ich erstarre und halte den Atem an, während ich verzweifelt überlege, was ich als Nächstes tun soll. Geröll knirscht unter einer Stiefelsohle. Dann ist es also kein Tier, sondern ganz eindeutig ein Mensch. Mein Herz schlägt im Sekundentakt, während ich auf jedes Geräusch lausche, das mir verrät, ob sich die Schritte draußen nähern oder sich entfernen. Die Minuten verrinnen. Nichts ist zu hören. Ich verstärke den Griff um meine Pistole wieder und wieder und zähle bis hundert. Noch immer nichts.
    In diesem fensterlosen Kasten gefangen zu sein, das bringt mich von vornherein in die schlechtere Ausgangslage. Nicht nur dass ich nicht sehen kann, wer da draußen ist, mir bleibt auch keine Chance zu fliehen, falls jemand durch die Tür kommt. Also wird es Zeit abzuhauen. Und zwar jetzt gleich.
    Ich spähe durch die spaltbreit geöffnete Tür des Containers nach draußen. Vor mir liegt ein Areal, auf dem früher einmal ein Haus gestanden haben muss, von dem jetzt jedoch lediglich ein paar bruchstückhaft erhaltene Mauern übrig sind. Einige dieser Hauswände sind nur noch ein bis anderthalb Meter hoch, doch ein oder zwei überragen mich auch. Das höchste Mauerstück ist nicht einmal zwanzig Meter von mir entfernt. Dahinter könnte ich mich vielleicht verstecken – vor wem auch immer.

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