Die Außenseiter
rehydriere dir ein bisschen Brokkoli oder was von dem anderen Grünzeugs.« Wie sich herausgestellt hatte, mochte der Thranx von allen irdischen Früchten und Gemüsesorten, die er sich aus dem Versteck der Wilderer mitgenommen hatte, Brokkoli besonders gern. Soweit es Cheelo betraf, würde diese Vorliebe die Annäherung zwischen Menschen und Thranx nur verlangsamen.
Als sein Gefährte nicht reagierte, weder verbal noch mit einer der inzwischen vertrauten Gesten, ging Cheelo zu ihm hinüber und stieß ihn mit dem Fuß an. »Raus aus den Federn, Des! Na ja, nicht, dass deine Decke mit Federn gefüllt wäre.«
Nichts an dem Thranx sah in irgendeiner Form ungewöhnlich aus: Sein Panzer glänzte im gewohnten metallischen Blaugrün, von den Flügeldecken über die Gliedmaßen bis hin zum Kopf. Die vielen Cornealinsen seiner Augen, jede so groß wie die Faust eines Menschen, schimmerten im frühen Morgenlicht wie goldbraune Bernsteine. Aber irgendetwas stimmte nicht. Cheelo brauchte eine Weile, bis er es schließlich erkannte.
Er roch nichts.
Genauer gesagt: Er roch den Thranx nicht mehr. Der Außerirdische verströmte nicht mehr den für ihn typischen milden Blumenduft. Cheelo beugte sich vor und schnüffelte an ihm, roch jedoch nichts als frische Bergluft. Dann erkannte er, dass noch etwas anderes nicht stimmte. Er bückte sich und stieß den Thranx unsicher mit beiden Händen an.
Wie steif gefroren kippte der Außerirdische auf die Seite, wobei die Decken kurz flatterten wie dunkle Flügel. Sie waren zu Leichentüchern geworden. Die starren Beine und Arme des Thranx blieben exakt in der Position, in der er auf dem Stamm geruht hatte, angewinkelt und dicht an den Körper gezogen.
»Des? Komm schon, ich hab keine Zeit, um Krabbeltiere zu verhätscheln. Steh auf!« Cheelo hockte sich hin und zog sanft an einer Echthand. Das Armglied ließ sich nicht bewegen, und der Thranx zeigte keine Reaktion. Cheelo packte mit beiden Händen zu und zog fester.
Ein durchdringendes Knacken zerriss die Luft. Cheelo hielt das oberste Armgelenk samt Echthand in den Händen. Dunkelrotes, mit grünen Schlieren durchsetztes Blut sickerte aus dem abgerissenen Glied. Entsetzt richtete Cheelo sich auf und schleuderte es von sich. Noch immer zeigte der Thranx keinerlei Reaktion. Benommen begriff Cheelo, dass Desvendapur dazu auch nicht mehr fähig war.
Fassungslos ließ Cheelo sich aufs Hinterteil plumpsen; er scherte sich nicht um die feuchten Pflanzen und den kalten Boden, sondern starrte den Thranx nur ungläubig an. Das Insektenvieh war tot. Nein, korrigierte er sich. Nein. Der Dichter ist tot. Desmelper ... Dreshenwn ... Verdammt!
Er konnte den Namen des Außerirdischen noch immer nicht aussprechen. Jetzt würde er es vermutlich nie lernen, weil der Träger dieses Namens ihm nicht mehr die Feinheiten der thranxischen Ausdrucksweise beibringen konnte. Cheelo ertappte sich bei dem Wunsch, dem Außerirdischen aufmerksamer zugehört zu haben, als dieser ihm von sich erzählt hatte. Er wünschte sich, noch auf viel mehr Dinge geachtet zu haben.
Nun, zu dumm, aber das war nicht seine Schuld. Das unvorhersehbare Schicksal war der Kopilot eines jeden empfindungsfähigen Lebewesens. Nur weil dieses Schicksal nun den Thranx hier auf einem kalten, nassen Berghang mitten in den Anden ereilt hatte, bedeutete das nicht, dass Cheelo Montoyas Schicksal ebenfalls besiegelt war. Sein Schicksal lag in der Zukunft, in Golfito und später in den einträglichen Goldgruben Monterreys. Er hatte ein reines Gewissen.
Was das Insekt betraf, so schuldete Cheelo ihm gar nichts. Zum Teufel, der Außerirdische gehörte ja noch nicht einmal auf diese Welt! Das, was ihm widerfahren war, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Niemand hatte ihn dazu gezwungen, auf Abenteuerreise zu gehen. Für seinen Tod traf weder Cheelo noch sonst jemanden irgendeine Schuld. Der Thranx war tot; die Dinge waren nicht so gut für ihn gelaufen, wie er es sich ausgemalt hatte; und Cheelo sah ein solch tragisches Ende nicht zum ersten Mal - auch wenn er es bislang nur bei seinen Mitmenschen beobachtet hatte. Keine große Sache. Nein. Nichts Besonderes.
Aber warum fühlte er sich dann so verdammt miserabel?
Das ist lächerlich!, dachte er. Er hatte dem Außerirdischen nach Kräften geholfen, genau, wie der Thranx ihm geholfen hatte. Keiner von ihnen hatte sich irgendetwas vorzuwerfen. Wenn sie vor Gericht hätten aussagen müssen, hätten sie beide beschwören können, dass sie während
Weitere Kostenlose Bücher