Die Außenseiter
sich viele Menschen interessierten. In der Stadt mit ihren verwinkelten Vororten hingegen gab es immer genug Interessantes zu berichten. So zum Beispiel die Story, auf die sie an diesem Morgen gestoßen war. Immer wieder versuchten Taugenichtse und Ganoven in den Weiten des Naturreservats unterzutauchen, doch früher oder später wurden sie von den automatischen Überwachungssonden entdeckt und fanden sich bald unverhofft in einer Zelle wieder, eingefangen von den Rangern.
Der Mann, den man an diesem Morgen festgenommen hatte, wurde jedoch nicht wegen Unterschlagung oder Vandalismus gesucht und auch nicht, weil er unerlaubt ins Reservat eingedrungen war oder dort gewildert hatte. Er wurde wegen Mordes gesucht. Iquitos war nicht immer eine friedliche Stadt, doch Morde gab es hier nur selten. Das war der abschreckenden Wirkung der modernen Strafvollzugstechnologie zu verdanken - und auch der Tatsache, dass ein Gericht den Täter zu einer generellen Gedächtnislöschung verurteilen konnte, anstatt nur zu einer partiellen.
Dass man an diesem Morgen einen Mörder gefasst hatte, war jedoch nicht der Grund, warum Shannon den Fall so faszinierend fand. Für die Medien war der Festgenommene deshalb so interessant, weil er eine »Story« anzubieten hatte. Shannon war neugierig zu erfahren, ob der Mann so verrückt war wie seine Geschichte.
Ein Wachmann hatte sich vor dem Befragungsraum postiert; eingedenk der Tatsache, dass der darin wartende Mann eines Kapitalverbrechens bezichtigt wurde, war das nicht verwunderlich. Man hatte Shannon bereits nach Waffen und verbotenen Gegenständen durchsucht, und nun zeigte sie dem Wachmann ihren Presseausweis, woraufhin er das elektronische Sicherheitsschloss öffnete. Als die Tür in die Wand glitt, trat der Wächter beiseite und ließ sie eintreten.
Die Gestalt, die an dem Befragungstisch saß, sah nicht gerade vielversprechend aus, und Shannon fragte sich, ob sie hier vielleicht ihre Zeit vergeudete. Nicht dass sie etwas Wichtigeres zu erledigen gehabt hätte. Sie holte ihren Rekorder hervor, schaltete ihn an und vergewisserte sich, dass die Schutzkappe zurückgezogen und die Linse sauber war. Die Linse war mit einer Schmutz und Fett abweisenden Beschichtung versehen und funkelte kurz im matten Licht der Deckenbeleuchtung. Die kurze Lichtreflexion erregte die Aufmerksamkeit des Gefangenen. Als er den Kopf hob, konnte sie sein Gesicht besser erkennen. Das änderte ihren ersten Eindruck von ihm nicht. Und auch nicht die Art, wie er sie ansah - auch wenn sie derartige Blicke gewohnt war.
»Ich hatte eigentlich mit einem Reporter gerechnet, nicht mit einem solchen Zuckerhasen.« Er grinste anzüglich. »Wie wär's, wenn wir den dämlichen Bullen da draußen bitten, die Fester abzudunkeln?« Er deutete mit dem Kopf zur Tür.
»Wie wär's, wenn Sie Ihren Mund halten, mich nicht so dämlich ansehen und nur auf meine Fragen antworten?«, erwiderte sie scharf. »Ansonsten verschwinde ich wieder und Sie können mit sich selbst spielen, bis die Beamten Sie wieder verhören kommen! Die hören sich Ihre verrückten Geschichten nicht an.«
Nach dieser Rüge ließ der Gefangene von seinem Macho- Gehabe ab und senkte den Blick. Nervös tippte er die Finger aneinander, als wisse er nicht, was er mit ihnen machen solle. Dann antwortete er: »Zuerst müssen Sie mir meine persönlichen Sachen besorgen.«
Shannon zog die gefärbten Augenbrauen zusammen.
»Was für persönliche Sachen? In Ihrer Akte steht, dass Sie nur mit den Kleidern am Leib im Regenwald aufgegriffen wurden.«
Er lehnte sich vor und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Als ich gemerkt habe, dass die Ranger mich aufgespürt hatten, hab ich meinen Rucksack vergraben. Ohne den Inhalt meines Rucksacks glauben Sie mir sowieso kein Wort.«
»Ich bezweifle, dass ich Ihnen überhaupt ein Wort glaube, also was soll's? Was ist in Ihrem komischen Rucksack, den Sie vor den Rangern versteckt haben? Illegale Rauschmittel? Edelsteine?«
Er grinste, diesmal jedoch nicht anzüglich, sondern wissend. »Beweise. Für meine Story.«
Shannon schüttelte enttäuscht den Kopf und schaltete den Rekorder aus. Wozu die Energiezelle unnötig verschleißen? »Es gibt keinen Beweis für Ihre ›Story‹. Weder in einem geheimnisvollen vergrabenen Rucksack noch sonst wo. Weil Ihre Geschichte verrückt ist. Sie ergibt keinen Sinn.«
Cheelos Lächeln wirkte angespannt, verblasste aber nicht ganz. »Und warum sind Sie dann hier?«
Sie
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