Die Außenseiter
gefüllte Gestalt ging. Sie wollten das Fleisch dieser Gestalt anknabbern, ihr Blut trinken. Moskitos und Fliegen, Käfer und Ameisen, alle wurden sie von den präzise modulierten Stridulationen des Abweisers beiseite gedrängt wie von einem Eisberg, der im Meer das Wasser zerteilt. Ohne das kompakte Gerät hätte Cheelos Haut mittlerweile große Ähnlichkeit mit der Oberfläche eines rötlichen, heftig missbrauchten Golfballs aufgewiesen.
Die Vögel leisteten ihm Gesellschaft, ebenso die Affen. Letztere waren zwar ständig zu hören, ließen sich aber kaum blicken. Die Einheimischen, die früher in dieser Region gelebt hatten, hatten gerne Affenfleisch gegessen, doch der Gedanke, einen Affen zu verspeisen, behagte Cheelo überhaupt nicht. Außerdem hatte er nur ein einschneidiges Messer dabei, und selbst wenn ein Bogen samt Pfeilen vom Himmel gefallen wäre, hätte ihm das nicht weitergeholfen, da er nicht damit umzugehen verstand.
Am nächsten Morgen flog ein in der Sonne blitzender Gleiter über seinen Kopf hinweg, mit niedriger Geschwindigkeit, dicht über den Baumkronen. Vom aufgeregten Gekreisch einer Familie Totenkopfäffchen gewarnt, hatte Cheelo unter einem Aronstabbusch Deckung gesucht. Die dicken, spatelförmigen Blätter schirmten ihn völlig gegen Blicke von oben ab. Als der Gleiter vorbeiflog, spähte Cheelo vorsichtig hinter einem Blatt hervor und erkannte, dass der Gleiter sowohl optische als auch akustische Tarnsysteme aktiviert hatte. Wäre nicht das panische Gezeter der Affen gewesen, hätte er das Luftfahrzeug erst bemerkt, wenn es direkt über ihm gewesen wäre. Dann hätte man ihn vielleicht trotz der Deckung, die ihm die Bäume boten, entdeckt.
Der Wald ist mein Freund, dachte er, während er sich unter den Blättern des Busches versteckte, bis er sicher war, dass der patrouillierende Gleiter fort war. Als er seinen Marsch fortsetzte, trübte ein Gefühl der Unsicherheit seine Zuversicht immer mehr.
Vor allem eine Frage drängte sich ihm auf: Wieso sollten Ranger in einem Naturschutzgebiet ihren Gleiter tarnen? Sicher, das leise Heulen eines Gleiters könnte die einheimische Tierwelt stören, doch war der Motor wohl kaum so laut, dass die Tiere in wilde Panik ausbrechen würden. Einen Motor schallzuisolieren war eine kostspielige Angelegenheit, die in keinem Verhältnis dazu stand, eventuell einige Tiere zu verschrecken.
Cheelo konnte nachvollziehen, warum man Suchsonden als Adler oder andere Vögel tarnte: Sie konnten sich freier unter den Waldbewohnern bewegen, während sie den Bestand kontrollierten und dessen Gesundheit überwachten. Doch es schien reine Geldverschwendung zu sein, einen Gleiter mit Tarnsystemen auszustatten. Durch seine Größe und fremdartige Form würden die Waldtiere ihn automatisch als unbekannten und potenziell gefährlichen Eindringling einstufen. Cheelos Verwirrung wuchs.
Falls der Gleiter sich mit seiner Tarnung nicht vor den Bewohnern des Regenwalds verbergen wollte, vor wem dann? Bei einem offiziellen Reservatsfahrzeug würde man doch wohl eher Wert darauf legen, dass es durch seine Lackierung und durch deutliche Kennzeichen als solches zu erkennen war, oder nicht? Eine Forschungsexpedition hingegen würde zwar eher Wert auf Anonymität legen, aber nicht zu kostspieligen Tarnsystemen Zuflucht nehmen. Denn falls die Forscher in eine Notlage gerieten, wollten sie sicher sein, dass ihr Gleiter leicht von einem Suchteam aus der Luft entdeckt werden könnte. Das Gleiche galt für ein Touristenfahrzeug.
Das ließ eigentlich nur noch den Schluss zu, dass es noch jemanden im Regenwald gab, der seine Anwesenheit geheim halten wollte. Große pharmazeutische Unternehmen beispielsweise gewannen äußerst wertvolle und nützliche Derivate aus Regenwaldpflanzen. Die meisten davon wurden nach ausführlichen Tests zu staatlich zugelassenen Produkten weiterverarbeitet. Andere hingegen nicht. Der Seltenheits- und Neuheitswert dieser Substanzen trieb ihre Preise in die Höhe.
Falls hier in diesem Teil des Regenwaldes Botanikpiraten operierten, würden sie ihn - sobald er ihnen seine Lage erklärt hätte - vielleicht als Gesinnungsgenossen akzeptieren und mitnehmen. Dann könnte er seine Suche nach einer Stadt abbrechen, wo er ohnehin nur riskiert hätte, den örtlichen Behörden ins Netz zu gehen. Andererseits reagierten Angehörige illegaler Organisationen für gewöhnlich nicht sonderlich positiv auf unangemeldete Besucher, ganz gleich welchen Status innerhalb einer
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