Die Außenseiter
Kredkarte zugreifen und die Flüge buchen, die ihn wieder nach Golfito brächten. Weil er von nun an zu Fuß unterwegs sein würde, musste er sich ein wenig mehr beeilen, aber das war kein Problem. Er hatte noch immer genug Zeit bis zum Ablauf der Frist.
Doch zuerst müsste er die mutmaßlich mildtätigen Touristen finden, ohne dabei die Aufmerksamkeit der ParkRanger auf sich zu lenken.
Zwei Tage später hatte er den Eindruck, dass er sich zwar der nächsten Stadt genähert hätte, sich aber nach wie vor keine Touristen in seiner Nähe aufhielten. Er war so sehr damit beschäftigt gewesen, Nahrung zu suchen, um den kleinen, ihm verbliebenen Vorrat an Konzentraten aufzustocken, dass er beinahe die Sonde übersehen hätte. Als Adler mit geteiltem Schwanz getarnt, glitt sie dicht über den Baumwipfeln am Fluss entlang. Nicht etwa der elegante Segelflug des allzu perfekten Vogels weckte Cheelos Misstrauen und veranlasste ihn dazu, sich tiefer ins Unterholz zu schlagen, sondern die Tatsache, dass der große Raubvogel nicht mit den Flügeln schlug - nicht ein einziges Mal. So hervorragend Adler auch segeln konnten, selbst ein großes Exemplar musste ab und zu mit den Flügeln schlagen, um im Gleitflug nicht an Höhe zu verlieren.
Cheelo beobachtete den Flug der Sonde von seinem Versteck hinter der Brettwurzel eines tropischen Hartholzbaums aus; sie kreiste über einer Stelle am gegenüberliegenden Ufer, sank bis auf wenige Meter über den Boden ab, und schwebte dann auf der Stelle. Adler konnten auf der Stelle schweben, das wusste Cheelo, aber nur in kräftigen, warmen Aufwinden. Dort drüben am Ufer, wenige Meter von ihm entfernt, gab es keinen Aufwind, jedenfalls keinen, der kräftig genug gewesen wäre, auch nur einen mittelgroßen Falken in der Luft zu halten, geschweige denn einen Adler. Die Augen des ›Vogels‹ waren Kameras, und sie machten zweifellos Aufnahmen, die sie gleich an eine der weit entfernten Ranger-Stationen rings um das gewaltige Reservat übertrügen. Die Gesundheit der Vegetation und Fauna zu überwachen, ohne dabei die Regenwaldbewohner zu stören, war eine Aufgabe, die solche getarnten Sonden gewiss am besten erledigen konnten.
Bestimmt suchen sie nicht nach mir, dachte Cheelo. Selbst wenn die Behörden seine Spur irgendwie von San Jose nach Lima zurückverfolgt hätten, konnten sie unmöglich wissen, dass er sich mitten im Regenwald verbarg. Welche Gottheiten ihn auch immer beschützten, Cheelo dankte ihnen dafür, dass er sich noch den Rucksack geschnappt hatte, als er aus dem Boot gefallen war. Schließlich enthielt der Rucksack all seine Ausweise. Dann fiel ihm ein, dass man vielleicht gar nicht nach ihm, Cheelo Montoya, dem flüchtigen Mörder, suchte, sondern nach dem vermissten Insassen eines herrenlos aufgefundenen Bootes. Es war durchaus möglich, dass einer der Überwachungsroboter des Reservats auf das Boot aufmerksam geworden war. Ranger und Verwalter würden sich gewiss über ein leeres Boot wundern, das, voll gestopft mit Vorräten, mutterseelenallein gen Norden fuhr. Mit ein wenig Scharfsicht kämen sie schnell auf den Gedanken, dass sich vielleicht ein kleines Unglück ereignet hätte, und würden sich auf die Suche nach dem Besitzer des Boots machen.
Grundsätzlich war das auch in Ordnung, nur leider wollte Cheelo nicht gerettet werden. Er war ins Reservat gekommen, um unterzutauchen. Auf keinen Fall wollte er jetzt gefunden werden, ganz gleich, wie wohlmeinend seine Möchtegernretter auch sein mochten. Obwohl er den einzigen ihm bekannten Orientierungspunkt nur ungern verlassen wollte, wusste er genau, dass er sich vom Fluss entfernen und tiefer in den Regenwald würde vordringen müssen. Wer immer ihn suchte, ob Mensch oder Sonde, ging davon aus, dass ein oder vielleicht auch mehrere gestrandete Reisende sich am Flussufer aufhalten würden, wo sie leicht gefunden werden könnten. Cheelo hatte bewusst ein Boot gestohlen, dessen Herkunft nicht zurückverfolgt werden konnte, daher würde man es nicht mit ihm in Verbindung bringen. Mit ein wenig Glück würde es irgendwo auflaufen und untergehen, bevor die neugierigen Ranger es an Land ziehen und den Inhalt überprüfen könnten.
In der Zwischenzeit würde er tiefer in den Regenwald eindringen, wusste er doch, dass die Vegetation ihn wie ein heißes grünes Laken bedecken würde. Die unzähligen Lebensformen im Blätterdach und auf dem Boden machten es ja auch nahezu unmöglich, Cheelos Körperwärmesignatur aus der Luft
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