Die außergewoehnlichen Geheimnisse von April, May & June
hypnotisiert durch die Windschutzscheibe. »Nein!«, schrie sie. Ich folgte ihrem Blick und sah April wie versteinert im Scheinwerferlicht unseres herannahenden Autos stehen. Avery und Blake standen ein paar Schritte von ihr entfernt, und alle starrten wir einander entsetzt an. Mariah schrie und versuchte eine Vollbremsung, aber dazu war es zu spät.
»Nein«, flüsterte June. » April.«
»Nicht das Mädchen!«, hatte April gerufen, an dem Tag, als ich Avery fast umgefahren hätte. Ihre Worte waren so deutlich in meinem Kopf, als ob sie sie gerade sagte.
Nicht das Mädchen.
Wahrscheinlich dauerte es nicht mal eine Sekunde, mich nach vorn zum Fahrersitz zu werfen und das Lenkrad zu packen, aber es fühlte sich an wie Stunden oder sogar Tage. Ich hörte, wie Mariah in mein Ohr schrie, trat wie verrückt auf ihren Fuà auf dem Bremspedal, riss das Steuer nach rechts, und dann war da nur noch dieses Quietschen und Schreien und ich hörte, wie April und June gleichzeitig meinen Namen riefen â und dann blieb alles stehen.
Kapitel 24
» Ich konnte mir nicht vorstellen, sie jemals wieder loszulassen. «
June
Einen Moment lang dachte ich, wir wären tot. Allesamt.
Doch dann fing mein Kopf an wehzutun, und ich kam zu dem Schluss, dass ich höchstwahrscheinlich nicht dieses Schädelbrummen hätte, wenn ich tot wäre.
In der Luft hing Bremsgeruch, und das Reifenquietschen hallte noch so laut in meinen Ohren, dass sie ebenfalls schmerzten. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich als Erstes das Armaturenbrett und dann meine Schwester May, die quer über mir hing und mir ihren heiÃen Atem ins Gesicht blies. Wie ein wahnsinniger Krieger, das Gesicht hell angestrahlt vom Scheinwerferlicht,hatte sie das Lenkrad gepackt und unser Auto haarscharf an April, Blake und Avery vorbeigelenkt. Und noch immer hatte sie diesen wilden, entschlossenen Blick.
»Junie?«, fragte sie. »June? Alles okay?«
»Ãh, ja«, sagte ich langsam, denn so war es tatsächlich. Mir tat der Kopf ein bisschen weh, aber er war noch heil. Die Beine konnte ich auch bewegen. Was immer wir gerammt hatten â es war offenbar nicht sehr schlimm gewesen. Mir war nichts passiert.
»Wo ist April?«, fragte ich. »Und was ist mit dir? Wo ist sie? Und wo ist Mariah?«
Mariah war inzwischen total geschockt aus dem Auto getaumelt und starrte abwechselnd auf die Unfallstelle und den demolierten rechten Scheinwerfer, der darauf zurückzuführen war, dass May das Auto auf den Schotterparkplatz gesteuert hatte und es dort gegen einen Holzzaun geschlittert war. Auch Mariah war nichts passiert, nur der Schreck saà ihr in den Knochen.
»April ist in Ordnung«, sagte May zu mir. »Und ich auch. Guck mal, da drüben steht sie. Alles okay mit ihr. Sie sieht so nerdig aus wie immer. June, es ist vorbei, du brauchst nicht zu weinen.«
»Ich weine gar nicht«, widersprach ich automatisch. Aber ich weinte tatsächlich. Das fiel mir nur erst in dem Moment auf, als May es sagte.
Ich stieg vorsichtig vom Beifahrersitz und hielt dann die Tür auf, damit May nach mir ins Freie klettern konnte. Kaum stand sie drauÃen, stürzte ich mich auf sie, schlang ihr die Arme um den Hals und drückte sie so fest, dass ich schon ein bisschen Angst hatte, ihr die Rippen zu brechen. Eigentlich hatte ich ja erwartet, dass sie mir ausweichen oder irgendwelche sarkastischen Bemerkungen über meinen nächtlichen Ausflug von sich geben würde, aber sie erwiderte meine Umarmung, und erst da bekam ich mit, dass May auch weinte.
Dann hörte ich knirschende Schritte über den Kies auf uns zukommen, und ich lieà May los, damit wir April packen und an uns ziehen konnten. Sie wurde von Schluchzern geschüttelt und als sie sich an uns klammerte, wurden ihre Tränen zu Sturzbächen. Ich drückte meine Schwestern ganz fest an mich. Sie passten links und rechts zu mir wie Puzzleteile, die nirgendwo anders hingehörten. Ich konnte mir nicht vorstellen, sie jemals wieder loszulassen â es kam mir so vor, als würde mir sonst etwas ganz Wesentliches fehlen.
So standen wir eine ganze Weile und weinten uns gegenseitig voll, bis die Sirenen in der Ferne so laut wurden, dass ich aufschaute und mich genügend sammelte, um fragen zu können: »Ist jemand �«
»Nein«, sagte April mit einem kleinen Schluckauf. »Nein, nichts passiert. Ihr habt
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