Die außergewoehnlichen Geheimnisse von April, May & June
versuchte ich zu erklären, und in meiner Stimme schwang alles Ungesagte mit. »Sie ist dort mit Mariah! Und das ⦠das kann nichts Gutes heiÃen! Sie hat doch gesagt, sie will ins Kino!«
»Aber woher willst du das denn wissen?«
Ich schnallte mich wieder ab und wollte aussteigen. Bis zum Park waren es wahrscheinlich keine 800 Meter. Ich hätte einfach hinrennen können, aber Julian zog mich zurück, noch ehe ich die Tür geöffnet hatte. »Ist ja gut, sag mir einfach, wohin wir müssen«, resignierte er und lieà den Motor an.
»Zum Park an der Old Topanga Road gleich neben der Schule«, sagte ich, gerade als die Vision wiederkehrte. Es tat nicht weh, ich spürte nicht den kleinsten Kopfschmerz, aber mein Körper fühlte sich an, als würde er auseinandergerissen. »Das hab ich doch nicht gesehen«, wimmerte ich.
»Was hast du nicht gesehen?«, drängte Julian. Er lenkte mit einer Hand und hatte mir die andere auf die Schulter gelegt, doch ich konnte seine Berührung kaum spüren.
»Ich ⦠ich muss besser auf sie aufpassen«, stöhnte ich in meine Hände. »Ich hab nicht gesehen, wie sie dahin gekommen ist, ich konnte doch nicht ahnen, dass sie ⦠Ich war ⦠Ich war ja mit dir zusammen.«
»Jetzt sag bloà nicht, das hat alles nur damit zu tun, dass wir uns um ein Haar geküsst hätten.«
Natürlich wollte Julian mich zum Lachen bringen, mich beruhigen, damit ich aufhörte, ihm so eine Mordsangst einzujagen, doch ich saà wie erstarrt auf meinem Sitz und spürte, wie mir der Sicherheitsgurt in die Haut schnitt. Er war zu eng. Alles war zu eng. »Ich hab sie nicht gesehen, weil ich dich um ein Haar geküsste hätte«, flüsterte ich. »Da hab ich an gar nichts mehr gedacht.«
»April, was zur Hölle redest du da?«
»Jetzt rechts abbiegen«, sagte ich, und das Herz schlug mir bis zum Hals. Aber ich wusste schon, dass wir nicht mehr rechtzeitig da sein würden. Die Sirenen, die Lichter, der Lärm â alles war in meinem Kopf und hörte nicht auf. Es würde auch nicht aufhören, ehe alles vorbei war. »Oh mein Gott«, sagte ich noch einmal. » Ich hab sie verpasst.«
»Hast du nicht« widersprach Julian. Während er lenkte, lieà er meine Schulter los und griff nach meiner Hand, zog sie weg von meinem Gesicht. »Wir sind gleich da. Wir finden sie.«
»Nein, werden wir nicht«, widersprach ich. »Das werden wir nicht.« Ich kramte nach meinem Handy, klappte es auf und sah drei verpasste Anrufe von May. Sie hatte keine Nachricht hinterlassen, aber beim Anblick der Zahl 3 wollte sich mir der Magen umdrehen und ich musste mich sehr zusammenreiÃen, damit ich mich nicht übergab. Ich versuchte, sowohl sie als auch June zu erreichen, aber alles, was ich hörte, war das Rufzeichen â das wahrscheinlich enttäuschendste Geräusch der Welt.
Einen Moment lang fuhren Julian und ich schweigend. Er hatte die Zähne zusammengebissen und hielt das Lenkrad fest umklammert. Ich stützte den Kopf in meine freie Hand und versuchte erneut, hinter diese Bilder zu sehen, auf der Suche nach etwas Neuem, nach einem Hinweis darauf, dass es June gut ging. An einer roten Ampel mussten wir so lange warten, dass ich sie schon für einen Teil meiner Vision halten wollte, aber als Julian ungeduldig brummte und gegen das Lenkrad trommelte, wusste ich, dass ich noch in der Wirklichkeit war.
Und dass ich keine Zeit mehr hatte.
Noch bevor Julian etwas sagen konnte, löste ich meinen Gurt und sprang aus dem Auto heraus. Die Beifahrertür lieà ich einfach offen stehen und rannte die dunkle StraÃe hinauf, vorbei an unserer Schule und vorbei an der Reinigung an der Ecke. »April, warte doch!«, hörte ich Julian rufen, aber der entgegenkommende Verkehr lieà ihm keine Chance.
Ich hielt immer noch mein Telefon in der Hand und wählte den Notruf, während ich rannte.
»Hier Rettungsleitstelle, um was für einen Notfall handelt es sich?«
»Kreuzung Old Topanga und Mulholland«, keuchte ich. Ich war so auÃer Atem, dass ich mich selbst kaum verstand. »Es hat einen Unfall gegeben.«
Ich rannte noch schneller. Kalte Eukalyptusluft füllte meine Lungen und trieb mich an. Irgendwo zirpten Grillen im Takt mit meinem rasenden Schritt. Lauf, lauf, lauf, dachte ich im Rhythmus und versuchte, stur geradeaus zu sehen, auch wenn
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