Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
morgen früh um sieben mit der Eisenbahn nach Ryde.«
»Mit der Eisenbahn? Ihr allein?«
»Sollte ich etwa hinlaufen?« Sie warf ihm einen fragenden Blick zu und grinste. »Das ist hier so üblich.«
»Um sieben? Von wo?«
Sie nannte ihm die Straße. »Schreibt es Euch auf. Ich fahre die nächsten drei Tage hin. Dann sind Ferien, zumindest für mich. Wir werden Weihnachten mit der Familie in den Blue Mountains verbringen und danach wohl ein paar Tage an den Strand fahren.«
»Darf ich Euch schreiben, falls ich es morgen nicht schaffe?«
»Ich bitte darum«, sagte Minnie kokett und ging forsch die Stufen zu den Geschäftsräumen des Agenten hoch. Ihr Vater schien gerade fertig geworden zu sein und begrüßte sie gutgelaunt.
»Papa, das ist Rudolph te Kloot.«
Schlagartig änderte sich Carls Gesichtsausdruck, er wurde ernster. Minnie hatte den Eindruck, als ob er Rudolph misstrauisch anschaue.
Die beiden Männer reichten sich die Hände, schienen einander zu taxieren. Carl nickte nur und zog Minnie mit sich zur Tür.
»Sollen wir noch ein wenig durch die Stadt gehen? Hast du dir etwas Schönes gekauft?«, fragte Carl, sobald sie wieder auf dem Trottoir standen.
»Wir haben zusammen Tee getrunken«, sagte Minnie. »Solltest du nicht noch für Mama zum Metzger gehen?«
»Das hätte ich fast vergessen, mein Täubchen. Dann lass uns einkaufen.«
Am nächsten Morgen stand Minnie schon früher auf, als sie musste. Lily drehte sich stöhnend um, sie hatte noch eine Stunde Zeit, bis sie aufstehen musste. »Lösch die Lampe«, schimpfte sie.
»Dann sehe ich ja nicht, was ich anziehe.«
»Ich will schlafen.«
»Zieh dir die Decke über den Kopf. Ich kann auch nichts dafür, dass der Zug so früh geht, und ich will nicht zu spät zur Arbeit kommen.« Minnie ignorierte die weiteren Unmutsäußerungen ihrer Schwester. Sie wusch sich, zog sich sorgfältig an und legte sogar ein wenig Parfüm auf, das der Vater ihr aus Hongkong mitgebracht hatte.
Dann schlich sie in die Küche. Mutter hatte ihr schon abends eine Brotzeit in den Henkelmann gepackt. Schnell kochte sie Wasser, achtete darauf, dass sie den Kessel vom Feuer nahm, bevor er pfiff, und schüttete sich eine Tasse Kaffee auf. Stark und süß musste er normalerweise sein, um ihre Lebensgeister zu wecken. Aber an diesem Morgen belebte sie der Gedanke an Rudolph te Kloot. Er hatte die sanftesten Augen, verborgen hinter den Gläsern seiner Nickelbrille, eine weiche, jedoch nicht unmännliche, tiefe Stimme und er wusste, was er wollte. Genau wie ihr Vater strebte er nicht vorrangig nach Reichtum, legte jedoch Wert auf ein gutes Auskommen, wie sie Rudolphs Worten entnommen hatte. Er wollte seinen Traum verwirklichen. Vaters Traum war das eigene Schiff gewesen und Rudolphs war die eigene Farm, der eigene Hof. Das war auch ihr Traum. Nichts zog sie zur See, und die immer größer und enger werdende Stadt löste Beklemmungen bei ihr aus.
Doch das war nicht der einzige Grund, weshalb ihr Herz bei dem Gedanken an Rudolph sprang und pochte. Vom ersten Augenblick an hatte ihr seine ruhige, gelassene und humorvolle Art gefallen. Auch wie er sich gegen seinen Bruder durchgesetzt hatte, fand sie bemerkenswert. Ob er das durchhalten würde? Immerhin winkte Jean te Kloot mit fetten Gewinnen und einem guten Auskommen. Leichter als das Farmerleben war das des Händlers allemal.
Immer wieder schaute sie sich auf dem Weg zum Bahnhof um, doch sie konnte ihn nirgendwo entdecken. Auch an der Station war er nicht, wie sie enttäuscht feststellte. War er doch nicht so erpicht auf eine Stelle? Hatte das frühe Aufstehen ihn verschreckt? Immerhin war es eine ganze Strecke von Woollahra bis zur Station und er müsste schon mindestens eine Stunde länger auf den Beinen sein als sie. Oderhatte er es nicht gefunden? Er war fremd in der Stadt, hatte noch keine Orientierung.
Wenn er es finden will, dann findet er es auch, dachte sie und streckte trotzig ihr Kinn nach vorn, so, wie es auch ihre Mutter immer tat.
Sie schaute auf die Bahnhofsuhr, es war noch zeitig, sie war zu früh gekommen. Jetzt schon lag die Hitze des kommenden Tages drückend über der Stadt, obwohl die Sonne kaum aufgegangen war. In mancher Fabrik am Hafen wurde schon gearbeitet, Qualm und Dampf zogen sich zu dunklen Wolken zusammen, drückten den Gestank der Abfälle und Abwässer zwischen die Häuserschluchten. Zum Glück würde mit der Tide auch Wind aufkommen, der die Hitze etwas erträglicher machte und auch
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