Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
breit. »Ich bin da. Ich habe geträumt, dass alles gutgeht und dass es ein Mädchen wird.« Ihre weißen Zähne leuchteten im Dämmerlicht.
»Darri!« Minnie wirkte plötzlich viel ruhiger. »Ein Mädchen, meinst du?«
»Ja.« Darri setzte sich in die Ecke und stimmte einen Gesang an. Es schienen keine Worte zu sein, nur eine dunkle, tiefe Melodie, ähnlich wie das Didgeridoo, dieser Holzstamm, auf dem die Aborigines dumpf schwingende Töne bliesen. Die Atmosphäre in dem kleinen Raum veränderte sich, es wurde ruhiger, die Angst, die wie eine Wolke über Minnie geschwebt hatte, verschwand. Sie atmete ruhig und tief.
Es war schon dunkel, als die Hebamme endlich kam. Sie untersuchte Minnie nur kurz. »Das Kind liegt gut, der Kopf ist schon weit unten. Die Fruchtblase steht noch, es wird noch dauern.«
»Wie lange?«, fragte Minnie wieder ängstlich.
»Morgen kommt das Kind.« Die Hebamme nickte. »Es ist Vollmond und noch drei andere Frauen auf den Nachbarfarmen liegen in den Wehen«, seufzte sie. »Ich komme später wieder.«
Emilia begleitete sie zur Tür. »Macht euch keine Gedanken, wir schaffen das schon.«
Die Hebamme sah sie forschend an, nickte dann. »Ihr seid die Mutter? Dann wisst ihr ja, wie es geht. Ich komme wieder, weiß aber noch nicht, wann.«
Darri sang ihr endloses Lied, die Zeit verstrich. Nur einmal schaute Emilia nach Lina, Jiba hatte das Mädchen gewaschen und zu Bett gebracht. Rudolph saß in der Küche, wusste nicht, wohin mit sich.
»Koch Tee«, forderte Emilia ihn auf. »Und dann geh eine große Runde mit dem Hofhund, um die Dingos zu vertreiben. Es wird noch dauern.«
»Wird sie es überstehen?«, fragte er ängstlich.
»Mach dir keine Sorgen«, versuchte sie ihn zu beruhigen.
Der Mond zog auf und ging wieder unter, die Nachttiere riefen einander ihre unheimlichen Grüße zu. Emilia saß an Minnies Bett, half ihr, zu atmen, so, wie es Piet damals bei ihr getan hatte.
Am frühen Morgen nahmen die Wehen zu. Minnie schrie auf.
Emilia hob die Decke an und lächelte zufrieden. »Die Fruchtblase ist geplatzt, es wird nicht mehr lange dauern«, sagte sie, nachdem sie ihre Tochter untersucht hatte. Erst hatte sich Minnie geschämt, aber Emilia hatte nur gelacht. »Ich habe dich zur Welt gebracht, dich nackt und bloß gesehen, dich gewickelt und gebadet. Da ist nichts, was ich nicht gesehen hätte und weshalb du dich schämen brauchtest.«
»Ich sterbe!«, jammerte Minnie wieder.
»Du musst jetzt pressen«, wies Emilia sie an. »Luft holen, den Kopf auf die Brust legen und pressen.«
»Es tut so weh.«
»Wenn du mitarbeitest, wird es gleich aufhören.«
Minnie schnaufte, presste dann, holte tief Luft, die Wehe war vorbei. »Es ist schrecklich. Ich will nie wieder ein Kind bekommen. Wie hast du das neunmal geschafft?«
Emilia legte die Hand auf Minnies Bauch, spürte die nächste Wehe kommen. »Press!«, sagte sie nur.
Der erste blassrosa Schein des neuen Tages zeigte sich am Horizont, als Minnies Tochter das Licht der Welt erblickte. Sie quäkte nur kurz, als Emilia sie anhob.
»Ein Mädchen. Darri, du hattest recht.«
Darri saß immer noch in der Ecke, sang wie in Trance das Lied und schien niemanden zu hören. Dann schrie das Neugeborene laut und empört auf, als Emilia es in eine Decke wickelte. Darri öffnete die Augen und lachte laut. »Ein Morgenkind. Cardina!«
Minnie nahm ihre Erstgeborene in die Arme.
»Neugeborene riechen so gut«, flüsterte Emilia. »Ein einmaliger Geruch, den du nie vergessen wirst.«
Gegen Mittag hatten sie das Bett neu bezogen, Mutter und Kind gewaschen und versorgt. Rudolph hatte staunend seine Tochter begrüßt, seine Frau zärtlich und erleichtert geküsst.
»Es tut mir so leid«, flüsterte er ihr zu.
»Was?«, fragte sie verwundert.
»Dass ich dich diesen Schmerzen ausgesetzt habe.«
Minnie lachte leise. »Mama hat es mir prophezeit, ich wollte es nicht glauben, aber sie hatte recht – ich kann mich an die Pein nicht mehr wirklich erinnern. Es tat weh, ja, aber es war nicht so schrecklich, wie ich gedacht hatte.«
Rudolph schüttelte den Kopf. »Ihr Frauen seid bewundernswerte Geschöpfe.«
Er sah wieder seine Tochter an, die an Minnies Brust lag und trank. »Wie sollen wir sie nennen?«
»Was heißt ›Cardina‹?«, fragte Minnie Darri.
»Sonnenaufgang«, antwortete die Aborigine.
»Car … ola … Emma?« Fragend sah Minnie Rudolph an.
»Carola – das bedeutet ›die Freie‹. Ein passender Name für mein erstes Kind in
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