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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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Ich hatte nicht mit dem gerechnet,
was
Großvater mir sagte und
wie
er es sagte. Aber seinen Tod hatte ich natürlich erwartet. »Nein«, sage ich ein zweites Mal. »Es war sein achtzigster Geburtstag.«
    »Ach ja, richtig«, sagt Ky nachdenklich, fast zu sich selbst. »Die Leute sterben hier an ihrem achtzigsten Geburtstag.«
    »Ja. Ist das da, wo du herkommst, anders?« Ich bin selbst überrascht, dass mir diese Worte entschlüpft sind, wo er mir doch gerade erst gesagt hat, ich solle ihm keine Fragen über seine Vergangenheit stellen. Diesmal antwortet er mir jedoch.
    »Achtzig ist … schwerer zu erreichen«, sagt er.
    Ich hoffe, dass man mir mein Erstaunen nicht ansieht. Gibt es in verschiedenen Gebieten verschiedene Zeitpunkte zum Sterben?
    Vom Waldrand her hört man Rufe und das Knacken der Zweige. Wieder taucht der Offizier aus dem Gebüsch auf und fragt die Neuankömmlinge nach ihrem Namen, sobald sie die Lichtung betreten.
    Als ich das Gewicht verlagere, um aufzustehen, könnte ich schwören, dass die Puderdose in meiner Tasche klirrend gegen meinen Tablettenbehälter schlägt. Ky dreht sich um, schaut mich an, und ich wage es nicht zu atmen. Ich frage mich, ob er mir ansehen kann, dass Worte in meinem Kopf sind, Worte, die ich verzweifelt zu behalten versuche. Denn ich weiß, dass ich das Papier nie mehr wieder auseinanderfalten darf. Ich muss es loswerden. Während ich hier neben Ky sitze und meine Haut von der Sonne wärmen lasse, ist mein Verstand glasklar – und ich gestehe mir ein, was das Geräusch im Wald eben zu bedeuten hatte. Dieses scharfe Knacken, als ein Zweig brach.
    Jemand hat mich gesehen.
    Ky atmet tief durch und beugt sich zu mir. »Ich habe dich gesehen«, sagt er leise. Seine Stimme klingt sanft und tief wie ein ferner Wasserfall. Er wählt seine Worte sorgfältig und spricht so, dass wir nicht belauscht werden können. »Eben im Wald.«
    Dann – zum ersten Mal, solange ich mich erinnern kann – berührt er mich. Er legt mir die Hand auf den Arm, schnell und heiß und flüchtig. Sie ist wieder weg, bevor ich es richtig begriffen habe. »Du musst vorsichtig sein. So etwas wie das …«
    »Ich weiß.« Ich würde ihn auch gern berühren, auch gern die Hand auf seinen Arm legen, aber ich tue es nicht. »Ich werde es vernichten.«
    Sein Gesicht bleibt unbewegt, aber ich höre die Dringlichkeit aus seiner Stimme heraus. »Kannst du das, ohne erwischt zu werden?«
    »Ich glaube schon.«
    »Ich könnte dir helfen.« Dabei wirft er dem Offizier beiläufig einen Blick zu, und ich erkenne etwas, das ich vorher nicht bemerkt habe, weil er es so gut zu verbergen weiß. Ky verhält sich immer so, als stünde er unter Aufsicht, aber anscheinend beobachtet er auch die anderen.
    »Wie hast du es geschafft, noch vor mir oben anzukommen?«, frage ich plötzlich. »Wenn du mich im Wald gesehen hast?«
    Mit überraschtem Gesicht antwortet Ky: »Ich bin gerannt.«
    »Ich bin auch gerannt«, sage ich.
    »Dann muss ich wohl schneller sein«, neckt er mich, und kaum merklich umspielt ein Lächeln seine Lippen. Dann ist es verschwunden, und er wirkt wieder ernst und besorgt. »Möchtest du, dass ich dir helfe?«
    »Nein. Nein, ich schaffe es allein.« Weil ich nicht möchte, dass er mich für eine Idiotin hält, die nur des Nervenkitzels wegen ein hohes Risiko eingeht, verrate ich mehr, als ich sollte. »Mein Großvater hat es mir geschenkt. Ich hätte es nicht so lange behalten sollen. Aber … die Worte sind so schön.«
    »Kannst du dich an sie erinnern, ohne es zu behalten?«
    »Jetzt noch.« Schließlich habe ich das Gedächtnis und den Verstand einer Sortiererin. »Aber ich weiß, dass ich sie mir nicht für immer merken kann.«
    »Du würdest es aber gern?«
    Er hält mich für blöd. »Sie sind so schön«, wiederhole ich matt.
    Der Offizier brüllt einen Befehl, und noch mehr junge Leute kommen aus dem Wald. Jemand ruft nach Ky, jemand ruft nach mir. Wir trennen uns, und jeder von uns geht zu seinen Freunden oben auf dem kleinen Hügel.
    Wir alle blicken hinaus in die Ferne. Ky und seine Freunde betrachten die Kuppel der Stadthalle und unterhalten sich dabei; der Offizier blickt auf den großen Hügel. Die Gruppe, bei der ich stehe, hat Aussicht auf die Mensa des Arboretums. Wir unterhalten uns über unser Mittagessen, über die Rückkehr in die Schule, über die Pünktlichkeit der Airtrains. Irgendjemand lacht, weil die Züge immer pünktlich sind.
    Eine Zeile aus dem Gedicht kommt mir in den

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