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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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obwohl sie zur Schale geformt sind und er sie auf beiden Bildern Richtung Himmel reckt.
    Doch damit endet die Ähnlichkeit der beiden Abbildungen. Auf der ersten blickt er hinauf zum Himmel und sieht jünger aus. Sein Gesichtsausdruck wirkt entspannt. Die Gestalt scheint zu glauben, dass ihre Hände noch gefüllt würden. Auf dem zweiten Bild ist er älter, sein Gesicht schmaler, und er blickt zu Boden.
    An den unteren Rand hat er geschrieben: Welcher der Wahre ist, frage ich nicht, und sie sagen es nicht.
    Zwei Leben.
Ich glaube zu verstehen, was er meint – sein Leben, bevor er hierherkam, und sein Leben danach. Doch was meint er mit dieser letzten Zeile, diesem gequälten Satz am Ende?
    »Cassia?«, fragt mein Vater. Er steht hinter mir in der Tür. Ich raffe die Serviette, den Essensbehälter und die Folien zusammen und trage alles zum Verbrenner und zum Recyclingbehälter.
    »Ja?«
    Selbst wenn er etwas sieht, sieht er nur eine Serviette
, sage ich mir und werfe einen Blick auf das braune Viereck auf meinem Tablett.
Wir verbrennen sie nach jeder Mahlzeit, und es ist sogar die richtige Art von Papier, im Gegensatz zu dem, was Großvater mir gegeben hat. Der Müllverbrenner wird keinen Unterschied registrieren. Ky bringt mich nicht in Gefahr.
Ich sehe meinen Vater an.
    »Auf dem Terminal wartet eine Nachricht für dich«, erklärt er. Er würdigt das Tablett und die Sachen darauf keines Blickes, sondern studiert mein Gesicht, um meine Reaktion abzulesen. Vielleicht lauert darin die wirkliche Gefahr. Ich lächle und versuche, unbesorgt zu wirken.
    »Ist sie von Em?«, frage ich und lasse meine Essensverpackungen in den Recyclingbehälter gleiten. Nur die Serviette bleibt übrig.
    »Nein«, antwortet mein Vater. »Da ist ein Funktionär von der Paarungsbehörde.«
    »Ach so.« Ganz nebenbei schiebe ich die Serviette in die Verbrennungsröhre. »Ich komme sofort«, sage ich zu meinem Vater. Ich fühle einen leisen Hauch von Hitze, als das Feuer tief unten Kys Geschichte verbrennt, und ich frage mich, ob ich jemals die Kraft besitzen werde, etwas zu
erhalten
. Großvaters Gedichte. Kys Geschichte. Oder ob ich immer diejenige sein werde, die etwas zerstört.
    Ky hat mich gebeten, sie zu vernichten
, sage ich mir.
Die Männer, die die Gedichte geschrieben haben, sind tot, Ky aber nicht. Dabei muss es bleiben. Er darf nicht gefährdet werden.
    Ich folge meinem Vater in die Diele. Bram wirft mir einen mürrischen Blick zu, als er hinausgeht, weil meine Nachricht ihn bei seinem Spiel unterbrochen hat. Um meine Nervosität zu überspielen, versetze ich ihm auf dem Weg zum Terminal einen freundschaftlichen Schubs.
    Den Funktionär auf dem Bildschirm habe ich noch nie zuvor gesehen. Er wirkt humorvoll und sieht stämmig aus, keineswegs so feierlich und asketisch, wie ich mir die Funktionäre immer vorgestellt habe, die über die Computerbildschirme in der Paarungsbehörde wachen.
    »Hallo, Cassia«, begrüßt er mich. Der Kragen seiner weißen Uniform scheint um den Hals zu spannen, und er hat Lachfältchen um die Augen.
    »Hallo«, antworte ich. Am liebsten würde ich kurz meine Hände auf Spuren der Zeichnungen und Worte kontrollieren, aber ich halte den Blick auf den Funktionär gerichtet.
    »Ihre Paarung ist jetzt über einen Monat her.«
    »Ja, Sir.«
    »Andere Paare vereinbaren jetzt einen Termin für ihr erstes Gespräch über das Terminal. Schon den ganzen Tag lang arrangiere ich die Termine für Ihre Altersgenossen. Aber für Sie und Xander wäre es natürlich ein wenig lächerlich, sich übers Terminal zu unterhalten.« Der Funktionär lacht fröhlich. »Finden Sie nicht auch?«
    »Ich stimme Ihnen zu, Sir.«
    »Meine Kollegen von der Paarungsbehörde sind mit mir einer Meinung, dass es für Sie am sinnvollsten wäre, stattdessen zusammen auszugehen. Selbstverständlich unter der Aufsicht eines Funktionärs. Genauso, wie auch bei den Gesprächen der anderen Paarungen.«
    »Natürlich.« Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie mich mein Vater von der Tür des Schlafzimmers aus beobachtet. Mich beschützt. Ich bin froh, dass er da ist. Obwohl die Vorstellung, Zeit mit Xander zu verbringen, weder neu noch besonders aufregend ist, wird mir bei der Aussicht auf die Anwesenheit eines Funktionärs bei unserem Treffen etwas mulmig.
    Ich hoffe, es ist nicht die Funktionärin aus dem Park beim Spielcenter
, schießt es mir durch den Kopf.
    »Ausgezeichnet. Sie werden morgen Abend zum Essen ausgehen. Xander und der

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