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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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einem Gefühl heraus, das ich nicht so recht einordnen kann. Sehnsucht? Wehmütige Erinnerung?
    Es ist das Stoffmuster meines Kleides, das ich auf dem Paarungsbankett getragen habe. Nach alter Tradition wird die Seide zwischen zwei Glasplatten gepresst und in einen schmalen silbernen Rahmen gefasst. Das Glas und das Material reflektieren das Licht. Für einen Moment bin ich geblendet und muss an den Glasspiegel in meiner verlorenen Puderdose denken. Ich starre den Stoff an und versuche, mich an den Abend des Paarungsbanketts zu erinnern, als wir alle rosa, rot, golden, grün, violett und blau gekleidet waren.
    Bram stöhnt auf. »Ist das alles? Ein Fetzen von deinem Kleid?«
    »Was hast du denn erwartet, Bram?«, frage ich, und mein schneidender Tonfall überrascht mich selbst. »Hast du vielleicht gedacht, die würden uns unsere Artefakte zurückschicken? Hast du geglaubt, hier wäre deine Uhr drin? Pech gehabt! Nichts von alldem werden wir jemals zurückbekommen. Weder meine Puderdose noch deine Uhr. Und Großvater auch nicht.«
    Mein Bruder starrt mich an, schockiert und verletzt, und bevor ich noch irgendetwas hinzufügen kann, rennt er aus dem Zimmer. »Bram!«, rufe ich ihm hinterher. »Bram …«
    Ich höre das Zuschlagen seiner Zimmertür.
    Ich nehme die Schachtel in die Hand, in der das gerahmte Muster geliefert wurde, und erkenne, dass sie tatsächlich genau die richtige Größe für eine Uhr hat. Mein Bruder wagte zu hoffen, und ich habe ihn dafür verhöhnt.
    Am liebsten würde ich das Stoffmuster nehmen und mich damit mitten in die Grünanlage stellen. Ich würde an dem ausgetrockneten Brunnen warten, bis die Funktionärin mich fände. Und dann, wenn sie mich fragte, was ich da mache, würde ich ihr und jedem, den ich kenne, verkünden: dass uns die Gesellschaft nur Fetzen des echten Lebens zugesteht, anstatt das große Ganze. Und ich würde ihr ins Gesicht sagen, dass ich keine Lust auf ein Leben habe, das nur aus Mustern und Resten besteht. Eine Kostprobe hier und da, aber keine sättigende Mahlzeit.
    Sie haben die Kunst perfektioniert, uns gerade genug Freiheiten zu lassen; gerade so viel, dass sie uns dann, wenn wir bereit sind zuzubeißen, einen kleinen Knochen hinwerfen können. Dann wälzen wir uns auf den Rücken, den Bauch nach oben, dankbar und friedfertig wie der Hund, den ich mal gesehen habe, als wir meine Großeltern auf dem Land besuchten. Sie hatten jahrzehntelang Zeit, diese Technik bis in alle Einzelheiten zu entwickeln. Wieso überrascht es mich, dass ihre Strategie auch bei mir immer und immer wieder funktioniert?
    Obwohl ich mich dafür schäme, nehme ich den Knochen an und kaue darauf herum. Ky darf nichts passieren. Das ist es, was zählt.
    Ich schlucke die grüne Tablette nicht. Ich bin immer noch stärker als sie. Aber nicht stark genug, um den letzten Teil von Kys Geschichte zu verbrennen, das Stück, das er mir vorhin auf unserem Weg zurück durch den Wald in die Hand gedrückt hat.
Das ist das letzte Mal
, schwöre ich mir.
Nur noch dieses eine Mal, dann nie wieder.

    Das Bild ist zum ersten Mal farbig. Eine rote Sonne, die tief am Himmel steht, wieder genau in der Serviettenmitte, so dass sie zu beiden Seiten gehört, zu beiden Jungen, beiden Leben. Der jüngere Ky hat die Worte
Vater
und
Mutter
fallen gelassen – sie sind aus dem Bild verschwunden. Vergessen, zurückgelassen oder so sehr ein Teil von ihm, dass sie nicht mehr hingeschrieben werden müssen. Er blickt hinüber zu dem älteren Ky, streckt die Arme nach ihm aus.
    sie waren eine zu schwere Last,
    deshalb ließ ich sie zurück
    für ein neues Leben, an einem anderen Ort,
    aber niemand hat vergessen, wer ich war,
    ich nicht
    und auch die nicht, die alles beobachten
    seit Jahren,
    auch jetzt
    Die Hände des älteren, jetzigen Ky sind vor seinem Körper mit Handschellen gefesselt, und rechts und links wird er von einem Funktionär eskortiert. Auch seine Hände sind rot gefärbt. Entweder, weil sie vom Arbeiten so gerötet sind, oder Ky wollte etwas anderes damit ausdrücken. Vielleicht klebt das Blut seiner Eltern seit damals noch immer an seinen Händen, obwohl nicht er sie getötet hat.
    Auch die Hände der Funktionäre sind rot. Eine der Frauen erkenne ich: Er hat ihr Gesicht mit wenigen treffenden Strichen charakterisiert.
    Meine Funktionärin. Sie ist auch hinter ihm her.

KAPITEL 23

    A m nächsten Morgen reißt mich ein so hohes und schrilles Kreischen aus dem Schlaf, dass ich sofort aus dem Bett springe und

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