Die Auswanderinnen (German Edition)
verpissten Städter nichts an, klar? Nicht, woran ich arbeite, nicht, was ich gefunden habe, und nicht, was sonst noch so abläuft. Verstanden?“ Mit einem letzten Ruck drehte er ihren Kopf nochmals ein Stück nach hinten und wünschte sich, dass sie schreien würde. Aber Johanna stöhnte nur mit fest zusammengepressten Lippen, und als er sie losließ, fiel ihr Gesicht wieder nach unten. Er stand auf und sie rappelte sich hoch. Wischte sich den Dreck vom Gesicht und eilte zurück zum Ausgang. Sie würde weiter Holz bringen, bis er ihr sagte, dass sie aufhören durfte. Sie hatte verstanden. Er grinste und rief ihr nach: „Ein falsches Wort, und du wirst hier unten auf Nimmerwiedersehn verschwinden! Kapiert? Ich lass dich hier unten verrecken!“
Kapitel 35
Johanna wachte um fünf Uhr morgens auf, wie immer. Aber zum ersten Mal seit Monaten sprang sie nicht automatisch von der Matratze auf, die direkt auf dem Dielenboden lag. Kurt hatte den Wohnwagen in Sydney gekauft und zum Haus umfunktioniert. Als Provisorium, bis sie sich ein richtiges Haus leisten konnten, hatte er gesagt, aber sie lebten nun schon seit ihrer Ankunft in diesem verrosteten, klapperigen Teil, das ohne Räder und mit seinem schiefen Blechdach über dem wackeligen Vorbau, in dem Herd und Waschstelle untergebracht waren, wie eine baufällige Hütte aussah. Johanna war sehr schnell klar geworden, dass dies ihr endgültiges Zuhause war. Für immer und ewig und alle Zeiten! Kurt würde alles Geld, das er in der Mine erwirtschaftete, wieder in die Mine investieren, in neue Geräte, mit denen er schneller fördern konnte, in Werkzeug und Fahrzeuge, und vielleicht sogar in einen neuen Claim. Aber bestimmt nicht in ein besseres Haus. Eines mit dichtem Dach und richtigem Boden.
Sie blieb ruhig liegen, während Kurt noch leise vor sich hin schnarchte. Sie wollte ihn nicht wecken. Der vergangene Winter war kalt gewesen. Der Wind hatte durch jede Ritze gepfiffen, und sie hatte nur eine dünne Zudecke gehabt. Manchmal hatte es so stark geregnet, dass das Wasser sogar zwischen den Blechplatten hindurchgelaufen und genau auf ihr Lager getropft war. Johanna war so unendlich müde und rollte sich mit ihrer grauen Decke schläfrig zur Seite, in der Hoffnung, dass er es nicht bemerken würde. Denn wenn er aufwachte, würde er sie nicht mehr schlafen lassen.
Wenigstens war es jetzt nicht mehr so kalt. Es war bereits Sommer, sie musste nicht mehr frieren, und heute würden ihre Freunde kommen! Sie würde nicht in die Mine gehen müssen! Kurt hatte ihr gesagt, sie dürfe mit den Frauen zu Hause bleiben. Er hatte ihr sogar Geld gegeben, um genügend Lebensmittel einkaufen zu können. Koch was Anständiges, hatte er ihr aufgetragen, ich will, dass sie sehen, dass es uns gut geht. Er musste ihr nicht erklären, was passieren würde, wenn die Frauen den gegenteiligen Eindruck gewinnen würden. Es fühlte sich an wie Urlaub. Eine ganze Woche, ohne Mine.
Leise und vorsichtig stand sie auf. Draußen wurde es bereits hell und sie musste noch sauber machen, einkaufen und kochen. Alles fertig haben für den Besuch. Kurt würde heute alleine in die Mine gehen, ohne sie, tatsächlich ohne sie. Kurz tauchte der Gedanke an Freiheit in ihr auf, verschwand aber so schnell, wie er gekommen war. Wenn Kurt von der Mine zurückkäme und entdeckte, dass sie abgehauen war, würde er sie finden, wo auch immer sie sich versteckt hätte. Er würde sich von nichts und niemandem aufhalten lassen. Und dann würde seine Wut keine Grenzen kennen. Sie zitterte leicht und zog sich ein Sweatshirt über. Es war doch noch recht frisch, wie jeden Sommermorgen um diese Zeit. Sie ging zum Herd, einem alten ausrangierten, gusseisernen Unikum, machte darin Feuer und setzte Wasser auf. Die Arbeit wartete nicht, sie musste sich beeilen. Trotzdem wusste sie, dass sie heute endlich einmal wieder die Sonne sehen würde. Sobald Kurt das Grundstück verlassen hatte, würde sie sich vor die Hütte setzen und etwas aufwärmen. Es würde ihr guttun, und danach könnte sie sich auch gestärkt den prüfenden Blicken der Freunde stellen.
Eva hatte Johanna einen Schal mitgebracht. Rosa, aus seidenweichem, durchsichtigem Material. Er fühlte sich so kostbar an, dass sie ihn gleich zur Seite legte. Isabella übergab ihr dagegen eine Flasche Whisky. „Für euch beide“, sagte sie. „Fröhliche Weihnachten.“
Kurt war noch nicht zurück, also saßen sie auf ein paar Holzkisten vor der Hütte, in der
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