Die Auswanderinnen (German Edition)
vielleicht eine andere Verletzung schlussfolgern? Dann werden wir eben einen anderen Unfall daraus machen! Und finden auch gleich einen neuen Unfallort! Ach, ihr habt den ganzen Schädel? Mit einem einzigen Durchschuss, der nicht aus nächster Nähe erfolgt sein kann? Fein, dann hat er eben nicht Selbstmord begangen, und der Schuss wurde wohl, der stammt ... ja, von wem denn? Was, mein lieber John, sollen wir denen in Sydney nun genau erzählen?“
Jo Ann saß nun kerzengerade auf der Bank und starrte Isabella herausfordernd an. „Ja, Isabella, was sollen wir ihnen erzählen? Was habe ich denn mit Kurt angestellt? Was will ich denn, deiner Meinung nach, verbergen?“
Alle hielten den Atem an. Jetzt musste Isabella endlich Farbe bekennen.
Sie zögerte nur kurz. „Jo Ann, ich habe keine Ahnung! Ich weiß es nicht, und ich will es auch nicht wissen! Ich weiß nicht einmal, warum ich überhaupt hier bin. Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum ich noch einmal in diese gottverlassene Ecke des Landes gefahren bin, ja, warum ich überhaupt nach Australien wollte.“
John brach das darauf folgende Schweigen, weil er merkte, dass Eva und Jo Ann nicht mehr weiterwussten. Er meinte, Jo Ann könne doch nach Sydney fahren und sich dort bei den zuständigen Stellen erkundigen, auch ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Nur ein paar gezielte Fragen stellen, um den Stand der Ermittlungen zu erfahren. Sie war schließlich aus Lightning Ridge, eine Einheimische, die einfach neugierig war und über deren Interesse sich niemand groß wundern würde. Erst danach, wenn sie mehr Fakten gesammelt hätten, sollten sie sich dann über den nächsten Schritt Gedanken machen.
Isabella beruhigte sich und musste ihm, wenn auch nur ungern, Recht geben. Wichtig war vor allem, das eigene Handeln nicht von reinen Vermutungen leiten zu lassen. Sie bat John, ihnen ein frisches Bier einzuschenken, damit sie besser nachdenken konnten. „Mit unseren Brummschädeln sollten wir heute lieber nicht mehr losfahren“, lenkte sie ein, „sonst landen wir noch am nächsten Baum, egal wer von uns dreien am Steuer sitzt. Aber wenn du darauf bestehst, Jo Ann, und dich dadurch besser fühlst, fahren wir halt in Gottes Namen morgen nach Sydney. Was hältst du davon, Eva?“
„Einverstanden“, bestätigte diese. „Wir können uns dann auf der Fahrt überlegen wie wir weiter vorgehen wollen.“
Isabella war der gleichen Meinung. Sie würden lange genug unterwegs sein, um Jo Anns Panik in den Griff zu bekommen und gemeinsam einen sinnvollen Plan zu entwickeln.
John kam mit vier Bierflaschen und vier Gläsern wieder an den Tisch zurück. „Jo Ann, du brauchst dir keine Sorgen um Tiger zu machen. Du weißt, er hat es gut bei mir.“
„Ja, ich weiß“, sagte sie. „Dabei wäre er so glücklich, jetzt endlich allein das Haus und den Garten bewachen zu können und mich nicht mehr mit Ben teilen zu müssen. Der arme Kerl! Versprich mir, dass du ihn bei dir behältst, bis ich zurück bin.“
„Natürlich! Klar!“
Sie schniefte. „Auch wenn es lange dauert?“
„Es wird nicht lange dauern“, sagte John. Aber keine der Frauen stimmte ihm zu. Plötzlich wurde ihnen bewusst, dass die Reise nach Sydney eine Entscheidung herbeiführen würde. Entweder würden sie sich endlich von der Vergangenheit befreien können, oder sie würden für den Rest ihres Lebens unter ihr leiden. Sogar Isabella, die bislang so unbeschwert aufgetreten war, hatte es aufgegeben, den Skelettfund zu bagatellisieren.
Kapitel 34
Sydney – Lightning Ridge, damals
Am Tag vor Weihnachten waren sie schon frühzeitig wach geworden. Eva, weil ihr schlecht war, wie fast jeden Morgen, und Uwe, weil er erst spät nach Hause gekommen war und noch packen musste. Um sechs Uhr morgens machten sie sich dann auf den Weg nach Mosman. Die Sonne war gerade über dem Meer aufgegangen, spiegelte sich noch rötlich in der ruhigen See und tauchte das Ufer in ein schimmerndes Licht, das einen weiteren warmen Tag ankündigte, einen perfekten Sommertag, niederschlagsfrei, wolkenlos.
Isabella und Dieter erwarteten sie bereits und wirkten erstaunlich ausgeruht.
Es dauerte über eine Stunde, bis sie die Stadt endlich hinter sich gelassen hatten, obwohl die Schnellstraße in nördlicher Richtung wenig befahren war und nahezu der gesamte Morgenverkehr auf der Gegenfahrbahn stadteinwärts drängte. Sie fuhren an Gosford vorbei und machten erst am Lake Macquarie Halt, um zu frühstücken.
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