Die Auswanderinnen (German Edition)
sie fort: „Du hast gemeint, dies ist die beste Woche, seitdem du hier bist, richtig?“
Johanna schüttelte den Kopf. Was um Himmels willen hatte sie nur angerichtet? Wie hatte sie sich nur so weit vorwagen und sich dieser ihr mittlerweile fast fremd gewordenen Frau anvertrauen können? Wenn nun Kurt von diesem Gespräch erfuhr? Wenn Eva am Abend irgendetwas Falsches sagen würde? Nur noch drei Tage.
„Noch drei Tage. Ich danke dir“, flüsterte sie. Und diesmal verstand Eva – nur drei Tage lang musste sie noch bleiben und schweigen, das konnte doch nicht so schwer sein.
In diesem Augenblick öffnete sich das wackelige Fliegengitter vor der Haustür, und Isabella trat aus der dunklen Schwüle der Hütte, die nach Knoblauch und Oregano roch und vom Herdfeuer auf eine unerträgliche Temperatur aufgeheizt worden war, in die frische Wärme des sommerlichen Spätnachmittags.
„Wie angenehm“, fächelte sie sich mit der Hand Luft zu. „Da drin ist es heiß und hässlich wie in der Hölle. Johanna, du musst wahnsinnig sein. Wie kannst du nur hier leben?“
Johanna blinzelte Eva eine kurze Warnung zu.
„Komm“, forderte diese Isabella auf, „setz dich zu uns. Es ist wirklich schön hier draußen.“
Worauf sich Isabella zu ihnen setzte, gelangweilt und hoffend, dass der Nachmittag bald vorüber gehen möge. Dies würde ihr letzter gemeinsamer Abend sein. Ein seltsamer Abend, denn als die Männer von der Mine zurückkamen, herrschte zwischen ihnen Eiszeit, so als ob sie Streit gehabt hätten. Sie wollten nicht einmal mehr auf ein Bier in den Pub gehen, sondern aßen ihre Nudeln, tranken den Wein und schwiegen vor sich hin. Bis Dieter schließlich ruckartig aufstand und, ohne jemanden dabei direkt anzusehen, verkündete, dass er morgen dringend nach Sydney zurückmüsse.
Kapitel 36
Lightning Ridge, heute
Jo Ann stand auf die Schaufel gestützt am offenen Grab und wartete, bis sich ihre Atmung wieder normalisiert hatte. Schweiß lief ihr über das Gesicht und mischte sich mit ihren Tränen. Ben lag nun als graues Bündel in der Grube zu ihren Füßen.
Noch immer konnte sie sich nicht dazu überwinden, Erde auf den Kadaver des Hundes zu werfen. Ben war ihr Gefährte gewesen, ihr Begleiter über viele Jahre hinweg, und ihn zu verlieren, zwang sie im wahrsten Sinne des Wortes in die Knie. Sie warf die Schaufel zur Seite und setzte sich auf den Erdhügel, den sie angehäuft hatte. Wieder überrollte sie eine Welle des Schmerzes, noch schlimmer als beim Tierarzt, als sie neben Ben gestanden und ihn gestreichelt hatte, während ihm die tödliche Infusion verabreicht worden war. Auch schlimmer als im Pub, wo John versucht hatte, sie zu trösten. Und schlimmer als beim Abschied von Tiger, der gespürt hatte, dass sie ihn verlassen wollte, und sie nicht mehr angesehen hatte, während sie ihn kraulte.
Jo Ann saß auf der Erde und hatte nicht einmal mehr Tränen übrig, um den Schmerz zu lindern. Hatte sie jemals so sehr um einen Menschen getrauert? Sie konnte sich nicht erinnern. Noch nie hatte sie einen Menschen so geliebt, noch nie hatte sie so getrauert wie jetzt.
Ihr wurde übel. Sie beugte sich vor und legte den Kopf zwischen ihre Knie. Alles um und in ihr drehte sich. Die Gegenwart verzerrte sich, wurde schneller und wirbelte wie wild, bis sich der gewohnte Zeitrahmen verschob. Alles schien gleich, damals und heute. Der gleiche Himmel, die gleiche Erde, sie selbst, vor einem Grab. Sie saß auf dem Boden, im gleichen Halbdunkel wie jetzt, aber zu ihren Füßen lag nicht Ben, sondern Kurt, ohne den Schutz einer Decke, im feuchten Lehmboden. Im Dreck! Aber damals war sie nicht allein gewesen, Eva hatte neben ihr gestanden, und sie hatte keinen Schmerz gefühlt.
„Sie hat ihn umgebracht! Sie weiß es nur nicht mehr!“ Evas Stimme katapultierte Jo Ann zurück in die Gegenwart. Eva stand direkt hinter ihr und blickte in Bens Grab hinab.
„Ich weiß, woran du denkst. Du fragst dich, genau wie damals, ob wir das Richtige getan haben. Hör auf dich zu quälen. Isabella hat ihn umgebracht, das wussten wir schon damals, als sie so verstört und verletzt von der Mine zurückkam. Er wollte sie vergewaltigen, und sie hat sich gewehrt. Es war Notwehr, und unsere Entscheidung, ihr zu helfen, war richtig.“
Die Bilder in Jo Anns Kopf lösten sich auf und sie erkannte das leblose graue Bündel vor sich wieder als das, was es wirklich war, während sie Evas Stimme lauschte und sogar den Sinn ihrer Worte
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