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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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verstand. Schwerfällig stützte sie sich ab, stand auf und wischte sich die erdverklebten Hände an ihrer Jeans sauber. „Damals war es richtig, aber ich frage mich, ob wir heute auch noch richtig handeln.“
    Eva nahm sie vorsichtig am Arm. „Komm, lass uns ins Haus gehen und gemeinsam darüber nachdenken. Es ist nicht gut, wenn du alleine bist.“
    „Bist du deshalb gekommen?“, fragte Jo Ann.
    „Ja. Isabella ist noch im Motel. Sie hat sich für eine Stunde hingelegt und wird später nachkommen. Aber ich habe es dort nicht mehr ausgehalten. Ich konnte dich nicht länger alleine lassen.“ Eva wollte sie mit sich ziehen, aber Johanna weigerte sich. Erst wollte sie noch das Grab schließen.
    „Ich helfe dir“, bot Eva an.
    Gemeinsam schaufelten sie Erde ins Loch, wie damals. Die späte Sonne brannte auf ihren Rücken und warf lange Schatten über den lockeren Hügel, den Jo Ann mit der Schaufel ebnete und mit einer Topfpflanze schmückte.
    Danach standen sie noch eine Weile neben dem frischen Grab und Eva legte einen Arm um die weitaus größere Jo Ann und schwieg, bis ihre eigenen Gefühle sie zu überwältigten drohten und sie über ihre Zweifel zu sprechen begann. „Ich habe auch oft überlegt, ob wir uns anders hätten verhalten sollen. Ob es richtig war, Isabella zu schützen, oder ob es nicht besser gewesen wäre, einfach die Wahrheit zu sagen. Aber dann dachte ich an die Folgen. Wie entsetzlich peinlich alles für euch gewesen wäre. Für Isabella und für dich. Vor allem für dich. Schließlich war Kurt dein Mann.“
    „Ich hatte nie Zweifel, dass wir richtig gehandelt haben“, antwortete Jo Ann. „Und sich im Nachhinein noch Gedanken darüber zu machen, ob es richtig war, ändert sowieso nichts mehr. Nein, nein, es war die einzige Lösung. Kurt hatte es nicht anders verdient. Es ist Notwehr gewesen. Isabella hat aus Notwehr gehandelt. Noch heute sehe ich sie vor mir, wie sie blutend und völlig verstört zurückkam.“
    Eva zog Jo Ann sanft am Ärmel ihres T-Shirts und ging mit ihr ins Haus zurück. Dort bereitete sie ihnen einen Kaffee und belegte Brote, während Jo Ann sich duschte und umzog.
    „Du musst etwas essen“, sagte sie mit Nachdruck, als Jo Ann, mit lockeren Baumwollhosen und einem ärmellosen Trägerhemd bekleidet, wieder in der Küche erschien. Ihr Haar war noch feucht, die Schwellung um ihre Augen war etwas zurückgegangen und sie sah erschöpft und resigniert, aber weiblicher aus als sonst.
    Sie nahmen am Küchentisch Platz, wo Eva mit ihren Ermahnungen fortfuhr: „Ich wette, du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen. Du musst besser auf dich Acht geben und deine Nerven schonen. Hier, iss ein Brot, auch wenn dir nicht danach ist. Und dann werden wir miteinander reden. Red dir alles von der Seele. Ist dir eigentlich bewusst, dass wir seitdem nie mehr darüber gesprochen haben? Kein einziges Wort mehr? Ich kann es kaum glauben, wenn ich so darüber nachdenke. Waren wir wirklich so verklemmt?“
    Jo Ann nahm das Brot, das ihr Eva entgegenhielt, legte es dann aber gedankenverloren wieder auf die Platte zurück. Sie schüttelte den Kopf. „Wir hätten uns geschämt, wenn alles öffentlich geworden wäre, hast du gesagt. Und dass es peinlich für Isabella und für mich gewesen wäre! Was für ein Wahnsinn! Als ob wir die Schuldigen gewesen wären. Aber natürlich hatten wir allen Grund, so zu denken. Was hätte Uwe gesagt? Und Dieter?“
    „Uwe hätte vermutet, dass Isabella Kurt verführt hat.“
    „Genau!“, sagte Jo Ann. „Und Dieter hätte genau das Gleiche vermutet, hätte ihr nie verziehen und ihr das Leben schwer gemacht. Und ich wäre von allen mit einer Mischung aus Mitleid, Neugierde und heimlicher Schuldzuweisung betrachtet und bedauert worden. Ja, auch ich hätte Schuld gehabt. Denn wenn ein Mann von seiner eigenen Frau bekommt, was er braucht, muss er nicht über eine fremde herfallen. So denken die Leute doch.“
    „Wahrscheinlich.“ Eva schenkte ihnen Kaffee ein und schob eine volle Tasse samt Zuckerdose demonstrativ zu Jo Ann hinüber.
    „Ganz bestimmt! Dabei habe ich mich Kurt nie verweigert. Weil ich immer Angst hatte, dass er sich dann an einer anderen vergreifen würde. Und das wäre meine Schuld gewesen. Aber es ist ja trotzdem so gekommen. Glaub mir, man spürt diese Schuld und diese Scham stets in seinem Inneren und hofft, dass sie nach außen hin nicht sichtbar wird. Dabei habe ich wirklich alles versucht. Aber er wollte immer mehr. Die Demütigungen

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