Die Auswanderinnen (German Edition)
jener Nacht, dass du ihn sogar eigenhändig umgebracht hättest, wenn du die Möglichkeit dazu gehabt hättest.“
„Ja, Isabella hat mir so unendlich leidgetan.“
„Eben! Und genau darum hatten wir auch beschlossen, Isabella zu schützen! Was Kurt ihr angetan hatte, war schon schlimm genug. Den Fall anzuzeigen, hätte sie nur zusätzlich belastet und hätte auch nichts mehr geändert. Es ist schon so lange her, und doch weiß ich noch alles so genau, als wäre es erst gestern gewesen. Wir saßen hier, genau an dieser Stelle, nur die Möbel waren damals andere.“
„Und wir waren ebenfalls andere“, warf Eva ein. „Wir sind nicht mehr wie früher.“
„Ich weiß nicht. Glaubst du wirklich? Sollten wir dann nicht nach Sydney gehen und endlich die Wahrheit sagen? Wovor habe ich eigentlich solche Angst? Schäme ich mich vielleicht noch immer?“
„Du weißt genau, warum wir zögern“, sagte Eva. „Es ist wegen Isabella. Wir sind nicht sicher, ob sie die Wahrheit ertragen kann. Sie hat den gesamten Vorfall doch total verdrängt.“
Jo Ann setzte ihre Kaffeetasse ab, legte den Kopf zurück und schloss die Augen. „Es ist immer wegen Isabella. Damals wie heute.“
„Glaubst du das wirklich?“
„Ja! Kurt hatte schon lange geplant, sie zu erpressen. Ich wusste es und habe es trotzdem nicht verhindert.“
„Was hast du gewusst?“, fragte Eva.
„Isabella hatte eine Affäre mit ihrem Boss, und Kurt hatte es herausgefunden.“
Eva war nicht überrascht. „Ich weiß, Isabella hat es mir erst heute Morgen gestanden.“
„Siehst du, es stimmt also, bisher war ich mir diesbezüglich nie ganz sicher. Kurt hat es mir irgendwann im Halbschlaf erzählt und sich damit gebrüstet, sie sich eines Tages mit seinem Wissen noch gefügig zu machen. Ich wusste dies und hätte sie vor ihm warnen müssen! Aber ich war zu feige dazu, trage also Mitschuld an allem, was danach geschehen ist. Wegen Isabella kam es zum Eklat, und wegen Isabella habe ich achtundzwanzig Jahre meines Lebens an diesem Ort verbracht.“
Eva schwieg. Ihr fehlten schlicht und einfach die Worte. Außerdem war sie sich nicht sicher, ob sie überhaupt noch mehr erfahren wollte.
Aber Jo Ann ließ nicht locker. „Verstehst du mich? Hierzubleiben war die Strafe, die ich mir selbst auferlegt habe. Wie oft wollte ich schon meine Koffer packen und fortgehen, aber ich konnte nicht. Es trieb mich immer wieder zurück zur Mine. Sie war der Platz meiner Demütigung und meines Triumphes. Mein Gefängnis und meine Freiheit. Wir haben Kurt ganz nah bei der Mine begraben, ist dir das klar? Ich konnte nicht weg, weil ich solche Angst hatte, dass Fremde ihn finden würden, wenn ich die Mine aufgebe. Also habe ich die Jahrespacht für meinen eigenen und auch gleich für den verlassenen benachbarten Claim bezahlt, als sie einen Monat nach dem Unglück fällig wurden, und mir vorgenommen, noch ein weiteres Jahr hier auszuhalten. Nur noch ein Jahr. Bis dahin würde die Leiche verwest sein, und danach würde ich die verfluchte Mine ihrem Schicksal überlassen. Aber ich brachte es nie über mich, zu gehen. Ich fand immer genug, um davon leben zu können, bis ich mich schließlich an das Leben hier gewöhnt und mir vorgemacht habe, dass es hier gar nicht so schlecht wäre. Vielleicht war ich mir aber auch einfach nicht mehr sicher, woanders noch einmal von vorne beginnen zu können. Zuletzt kam dann auch noch die Sucht hinzu. Immer habe ich auf den ganz großen Fund gehofft, genau wie Mira. Um Kurt nachträglich noch eins auszuwischen! Es wäre schön gewesen, wenn ich durch seine geliebte Mine reich geworden wäre.“ Sie seufzte mit unverhohlener Verachtung. „Aber die verdammte Mine war genauso ein Reinfall wie meine Ehe. Und dies einzusehen hat mich die beste Zeit meines Lebens gekostet. Jetzt bin ich am Ende, Eva. Es gibt nichts mehr, wofür es sich lohnt, weiterzumachen. Aber jetzt ist Schluss. Ich weiß endlich, was ich zu tun habe. Ich gehe nach Sydney, nehme die Schuld auf mich, was ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen, und bringe die unglückselige Geschichte damit endgültig zu Ende.“
„Du willst dich stellen? Für Isabella?“, fragte Eva erschüttert.
Jo Ann nickte. „Für Isabella. Wegen Isabella. Nenn es, wie du willst. Ich bin müde, und ich bin es leid, noch länger Angst zu haben.“
„Du kannst unmöglich alles aufgeben.“
„Ich habe nichts zu verlieren. Sieh dich doch um. Ich habe das Haus hier, aber es ist nur ein paar Dollar
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