Die Auswanderinnen (German Edition)
letzten Nacht mit, in der sie darüber nachgedacht hatte, wie es nun mit ihrem Leben weitergehen sollte. „Ich werde die nächsten Jahre nicht von hier fort können. Solange ich in Lightning Ridge bleibe und so tue, als würde ich auf Kurt warten, ist alles ganz einfach. In einer Woche, wenn Isabella fit genug ist, fahre ich euch beide zum Bahnhof nach Brisbane, nachts, damit uns niemand sieht. Dort nehmt ihr den Zug zurück nach Sydney, und sobald ihr von hier weg seid, könnt ihr die ganze Angelegenheit vergessen.“
Das klang einleuchtend, war für Eva aber trotzdem irgendwie falsch. „Du kannst aber nicht alleine hierbleiben.“
„Warum denn nicht?“ Johanna blickte konzentriert durch die Windschutzscheibe des alten Trucks. Es hatte zu nieseln begonnen und wurde langsam dunkel. Sie waren schon den ganzen Nachmittag unterwegs, aber die Zeit drängte, denn Isabella würde voraussichtlich gegen Abend wieder aufwachen.
„Was willst du tun? Wovon willst du leben?“ Sie konnte doch nicht in der Mine arbeiten. Alleine, noch dazu als Frau. In dieser Einsamkeit. „Ich meine, du wirst in Lightning Ridge doch keinen Job finden.“
„Wer weiß“, meinte Johanna. „Vielleicht machen sie hier ja bald ein Krankenhaus auf.“
„Ich bitte dich!“
„Ich sage dir, was ich als Allererstes machen werde. Ich werde ein Telefon beantragen! Damit ich erreichbar bin und du mich anrufen kannst. Und als Zweites werde ich den ganzen alten Krempel, den Kurt vom Sperrmüll geholt hat, entsorgen, und den Wohnwagen und die Werkstatt umbauen und herrichten, damit man sich nicht mehr schämen muss, weil man wie ein Asozialer lebt. Und frag gar nicht erst, mit welchem Geld ich das mache! Kurt hat das ganze Geld gespart, das er für die Steine, die wir in den letzten Monaten aus der Mine geholt haben, bekommen hat. Ich weiß genau, wo es ist. Er hat es nicht einmal für nötig befunden, es vor mir zu verstecken. Es ist nicht viel, aber es wird reichen. Und wenn es aufgebraucht ist, gehe ich in die Mine und schürfe weiter. Ich kann das! Ich schaffe das auch alleine! Vor allem alleine!“
Eva nahm ihre Brille ab und rieb sich an der Nasenwurzel. Sie war so müde und zerschlagen von den Ereignissen. Ihre ganze Energie war aufgebraucht und so war sie, während sie Johanna zuhörte, auch mehr als froh darüber, dass diese anscheinend für alles bereits eine Lösung parat hatte. Johanna würde durchkommen. Im Notfall würde sie sie finanziell unterstützen, auch wenn das mit ihren begrenzten Mitteln fast unmöglich war, aber dazu würde es bestimmt nicht kommen. Johanna schien überhaupt nicht müde zu sein. Gottlob wusste wenigstens eine von ihnen, was in dieser grässlichen Situation zu tun war. Nur noch eines wollte Eva wissen: „Wirst du in diesem Ort nicht vor lauter Einsamkeit umkommen? So ganz allein in der Mine? Und wenn du dann nachts nach Hause kommst, ist auch niemand da.“
Über Johannas Gesicht huschte ein Lächeln. „Ich werde mir einen Hund zulegen.“
Kapitel 42
Lightning Ridge, heute
Punkt sechs Uhr morgens standen Eva und Isabella mit ihrem Wagen vor Jo Anns Hoftor. Eva hatte verschlafen, war mürrisch und konnte noch immer kaum aus den Augen schauen, während Isabella dagegen putzmunter war und deshalb auch den ersten Abschnitt der Strecke fahren wollte.
Nachdem sie Johannas Koffer verstaut hatten, setzten sich die drei Frauen in den Explorer und fuhren durch den Ort, der zu dieser frühen Stunde noch menschenleer und ruhig wie ein Friedhof war, zum Pub. Die Sonne stand schon seit einer halben Stunde über dem Horizont und beleuchtete die einsamen Straßen mit ihrem schräg einfallenden weichen Licht, das dem Ort das Aussehen einer nachkolorierten Postkarte verlieh.
Jo Ann hörte die Vögel in den Bäumen zwitschern. Noch nie zuvor war ihr Lightning Ridge so hübsch erschienen. Sie stellte die Kiste mit ihren privaten Habseligkeiten und letzten Anweisungen für John vor dem Pub ab, setzte sich wieder auf den Rücksitz des Autos und schloss die Augen, während Isabella aus dem Ort fuhr. Erst als sie Eva sagen hörte: „Hier ist die Abzweigung zum Highway“, öffnete sie wieder die Augen. Es war vorbei. Das Dorf der Opalsucher lag hinter ihr.
Schweigend fuhren sie die ersten fünfzig Kilometer auf der kerzengeraden Straße in Richtung Süden, durch eine vom vergangenen Regen gesättigte, noch immer grüne Landschaft.
„Ich habe mir heute beim Morgenkaffee die Karte angesehen“, sagte
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