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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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ihnen an, lächelte über die freundschaftlichen Angebote, doch unbedingt in Verbindung zu bleiben, und verabschiedete sich mit der ernüchternden Erkenntnis, ihrem Gastland nie eine echte Chance gegeben zu haben.
    Es war viel zu früh für den Bus zum Flughafen, trotzdem nahm sie ihren Koffer, ging zur Bushaltestelle vor dem Sheraton Hotel, setzte sich auf eine Parkbank, von der aus sie den heranfahrenden Bus sehen konnte und atmete tief durch. Das war es also. Zwei Jahre und sieben Monate später! Ihr Englisch war sehr viel besser geworden, sie hatte Australien und damit ein Stück von der Welt gesehen, hatte eine gescheiterte Ehe und eine verkorkste Karriere hinter sich. Aber sie stand vor einem neuen Anfang. Sobald dieses Land, das ihr nur Sorgen und Schwierigkeiten bereitet hatte, unter ihr verschwunden wäre, würde sie sich ein Glas Sekt bestellen und auf einen Neubeginn anstoßen. Und sich feierlich versprechen, nie wieder einen Fuß nach Australien zu setzen!

Kapitel 47
     
     
    New South Wales, heute
     
    Der Kellner war gekommen, um sie zu ihrem Tisch im Restaurant zu führen. Schweigend standen sie auf, griffen nach ihren Handtaschen und folgten ihm in den Speisesaal. Als sie Platz genommen hatten, legte er mit elegantem Schwung die Speisekarten vor und begann die Empfehlungen des Küchenchefs für den heutigen Tag herunterzubeten. Worauf alle drei Frauen kurzentschlossen das gleiche Tagesmenü, gegrillten Fisch mit gedünstetem Gemüse und einem Waldorf Salat als Vorspeise, bestellten, um sicherzugehen, dass sie ihr Essen auch gleichzeitig bekommen würden.
    Isabella war so weiß wie das Tischtuch, als sie an ihre unterbrochenes Gespräch anknüpfte. „Ich kann doch einen ganzen Nachmittag nicht einfach vergessen haben“, murmelte sie, sobald der Kellner außer Hörweite war. „Du kannst mir nicht einreden, dass ich für mehrere Stunden das Gedächtnis verloren habe, Jo Ann. Das ist doch unmöglich!“
    „Das ist sehr wohl möglich! Du hattest einen Schock. Was in jenen Stunden bei der Mine geschehen ist, war zu schrecklich, um es verarbeiten zu können. Deshalb hast du es total verdrängt.“ Jo Ann spürte Mitleid mit Isabella, der die Bestürzung deutlich anzusehen war. „Hast du denn nie darüber nachgedacht?“, fragte Jo Ann. „Du musst doch irgendwann selbst einmal nachgerechnet haben? Mir war schon immer unbegreiflich, womit du dir die fehlenden Stunden erklärt haben könntest.“
    „Sie haben mir nie gefehlt! Weil ich nie darüber nachgedacht habe. Bis heute! Es ist ein komisches Gefühl ... wie soll ich es beschreiben? ... Als wäre eine vollkommene Leere in meinem Kopf. Als würde ich im Supermarkt stehen und total vergessen haben, was ich besorgen wollte. Versteht ihr? Ich höre, was du sagst, Jo Ann, und es leuchtet mir ein, es ist logisch, aber gleichzeitig weiß ich nicht, was ich mit dieser Information anfangen soll.“ Sie sah zum Fenster. Die Scheibe reflektierte das Innere des Raums, und sie konnte nun keine Boote mehr zählen.
    „Du brauchst Zeit“, meinte Jo Ann. „Gib dir die Zeit darüber nachzudenken. Ich kann mir vorstellen, wie verwirrend das alles für dich sein muss.“
    „Ihr habt aber immer gewusst, dass ich den ganzen Nachmittag dort war?“
    „Natürlich!“
    „Wieso?“
    „Du hast es uns selbst mitgeteilt, wenn auch indirekt. Als du ins Haus gekommen bist, warst du völlig aufgelöst und durcheinander und hast ziemlich wirres Zeug geredet, aber wir haben verstanden, was du uns erklären wolltest, und außerdem war dir ziemlich deutlich ansehen, was geschehen war.“
    Isabella dachte nach. Dann fragte sie: „Was habt ihr mir angesehen?“
    Als keine der Frauen antwortete, legte sie ihre Hand auf Jo Anns Hand und beschwor sie: „Bitte, ihr müsst mir sagen, was ihr wisst. Ihr müsst mir genau erzählen, was geschehen ist. Sonst werde ich noch verrückt von all den Vermutungen, die in meinem Kopf herumschwirren.“
    Eva hatte die Finger unter dem Tisch verschränkt und grub sich mit den Daumennägeln abwechselnd einmal in die rechte, dann wieder in die linke Innenfläche der Hand, ohne es jedoch zu spüren. „Wir müssen es ihr sagen, Jo Ann. Alles! Es ist unfair und verwirrend für sie, wenn wir ihr nur einen Teil der Wahrheit erzählen.“ Und als Jo Ann nicht antwortete, entkrampfte Eva ihre Hände, atmete tief durch und sagte: „Wenn du dich weigerst, werde ich es tun. Ich war dabei, und kann es noch genauso gut beschreiben, als wäre es erst gestern

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