Die Auswanderinnen (German Edition)
gewesen.“
Endlich nickte Jo Ann. „Na gut, ich werde versuchen zu erklären, was vorgefallen ist.“
Isabella erfuhr, wie sie verletzt, blutend und völlig verstört im Haus angekommen war. Es gab keine andere Schlussfolgerung als die, dass sie von Kurt schwer misshandelt und vergewaltigt worden war. Isabella zuckte mehrmals zusammen, hörte fassungslos zu und versuchte zu begreifen, dass es sich dabei um ihre eigene Geschichte handelte. Jo Ann benutzte absichtlich die gleichen Worte, die Isabella damals benutzt hatte. „Du hast gesagt, er kam mir nach, da habe ich den Hammer gepackt und zugeschlagen!“, sagte sie und überließ es Isabella, daraus ihre eigene Schlussfolgerung zu ziehen.
Die Vorspeise wurde serviert und Eva, die das Gefühl hatte, dass nun alles Wichtige offen dargelegt war, sah Isabella fragend an. Es kam aber keinerlei Reaktion von ihr. Schweigend begannen sie alle drei in ihrem Salat herumzustochern, nun doch heilfroh, nicht auf ihrem Zimmer geblieben zu sein. Sogar Isabella versuchte etwas zu essen.
Erst als die noch fast vollen Teller, auf Isabellas wortlose Bitte hin, wieder abgetragen worden waren, trank sie einen großen Schluck Wein aus ihrem Glas, setzte es langsam ab, und meinte leise: „Warum, um Himmels willen, habt ihr mir das nie gesagt?“ Ohne auf Antwort zu warten, fuhr sie, noch immer im Flüsterton, aber mit steigender Intensität fort: „Es ist gut, dass wir hier unter all den Leuten sitzen, denn sonst müsste ich euch jetzt anschreien. Warum, in Drei-Teufels-Namen, habt ihr geschwiegen? Wenn es stimmt, was Eva da erzählt hat, dann ist es eine verfluchte Schweinerei, was mir angetan wurde, und ...“ sie verstummte. Und Kurt gehört bestraft, hatte sie sagen wollen, doch dann war ihr eingefallen, dass er bereits tot war und nicht mehr bestraft werden konnte.
„Weil wir dich beschützen wollten und du uns leid getan hast“, antwortete Eva ruhig. „Ich weiß, dass es falsch war, denn du hast es verdrängt, und das ist nicht gut.“
„Du willst damit sagen, dass ich unbewältigte Probleme mit mir herumschleppe, weil ich bislang gar nicht wusste, was geschehen ist?“
„Ja.“
Isabella schob die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass ich Probleme habe. Es ist alles in Ordnung mit mir.“
„Siehst du“, sagte Eva, die Isabellas Antwort als Bestätigung des soeben Gesagten nahm.
Isabella kämpfte sichtlich darum, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Es kann doch genauso gut sein, dass ihr die Probleme habt, weil euch euer Gewissen plagt. Ehrlich, ich bin völlig in Ordnung. Es wird zwar noch etwas dauern, bis ich auch wirklich begriffen habe, was mir passiert ist, so schnell geht das schließlich nicht, und ich glaube euch natürlich, dass es so war, aber es ist, als hätte ich ein Buch gelesen, eine Geschichte, in der ich nicht vorkomme, versteht ihr. Es betrifft mich nicht. Auch wenn ich es glaube, ist es nicht meine Realität.“
Eva hörte ihr zu und war erschüttert darüber, wie hoch die Mauer war, hinter der sich Isabella verschanzt hatte. „Du hattest wirklich keine Ahnung! Und du verstehst die Tragweite des Ganzen immer noch nicht!“
Isabella wurde ärgerlich. „Oh doch – ich verstehe, dass ich vergewaltigt wurde, aber es ist vorbei und lässt sich nicht mehr ändern. Es war nicht meine Schuld, und ich hätte es wohl auch kaum verhindern können. Daher kannst du jetzt auch aufhören, in einer Wunde herumzustochern, die nicht vorhanden ist, nur um mir klarzumachen, wie schrecklich es für mich war. Jo Ann hat recht, wir sollten aufhören darüber zu reden und die Vergangenheit endgültig begraben.“
Evas Stimme hob sich bei ihren ersten Worten, aber sie dämpfte sie sofort wieder, als sich die Köpfe einiger Gäste daraufhin zu ihr umdrehten. „Sie lässt sich aber nicht so einfach begraben! Du lehnst es ab, die Wahrheit zu akzeptieren und ruinierst damit Johannas Leben, die dich schützen will. Aber so geht das nicht ...“
„Hör auf damit!“, zischte Jo Ann.
„Nein!“ Eva war nun ganz ruhig. „Ich höre nicht auf. Isabella will es einfach nicht begreifen.“
„Was will ich nicht begreifen?“, fragte Isabella, plötzlich genauso ruhig. Es klang, als würden sie sich über die neueste Mode unterhalten. In einem schicken Restaurant, bei gutem Wein und Kerzenlicht.
Eva sprach es endlich aus: „Dass du diejenige warst, die Kurt erschlagen hat! Als Jo Ann zur Mine fuhr, um ihn zur
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