Die Auswanderinnen (German Edition)
ganzen Körper. Die Sehnsucht nach der Heimat wurde so übermächtig, dass sie die Tatsache, dass eine baldige Rückkehr unmöglich war, schier verzweifeln ließ. Gequält stöhnte sie auf und fiel vor den geschlossenen Koffern auf die Knie.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte Kurt. Er war zurückgekommen und stand, mit den Bierdosen in den Händen, im Türrahmen.
Johanna mochte sich nicht umdrehen und ihm ihr verheultes Gesicht zeigen. Sie hatte sich noch nie besonders attraktiv gefunden, und wenn sie weinte, sah sie besonders hässlich aus. „Ich weiß nicht.“ Sie rang um Fassung. „Es ist nur ... die Koffer ... ich habe an Heidelberg denken müssen ...“
„Bist du total übergeschnappt?“ Seine Stimme fuhr wie ein eiskalter Sturmwind über sie hinweg und ließ sie erzittern. „Was geht dich dein altes Zuhause noch an? Wir sind jetzt in Australien! Hier ist unser Zuhause! Reiß dich doch zusammen. Los, steh auf!“
Noch kniete sie vor dem Bett, die Arme auf die Matratze gestützt und das Gesicht in ihren Händen verborgen. Ihr war nicht bewusst, dass sie damit eine demütige Haltung vor ihm eingenommen hatte. Außerdem war sie noch so in ihrem Leid gefangen, dass sie seinen drohenden Befehl gar nicht richtig wahrgenommen hatte.
„Aber ich fühle mich hier nicht zu Hause“, jammerte sie durch die geschlossenen Finger hindurch. „Es ist scheußlich hier. Die vielen Krabbeltiere, überall sind sie. Und alles sieht so anders aus, so ...“, sie wusste nicht, wie sie es beschreiben sollte, „so billig und schäbig. Einfach nicht wie zu Hause. Und es riecht hier ... so, so muffig, ich weiß auch nicht ...“
Er hätte sie in die Arme nehmen und ihr erklären können, dass es in Sydney bestimmt viel schöner sei. Dass dies hier nur ein Übergang war. Dass Sydney so wunderschön sein würde, wie auf den Bildern, die sie gesehen hatten, und sie sich dort bald eingewöhnen würden. Aber so war Kurt nicht. Stattdessen packte er sie grob am Arm und riss sie so schwungvoll auf die Beine, dass ihr Haar nach hinten flog und ihr verweintes Gesicht freigab. Er drehte sie zu sich um, quetschte ihre Oberarme mit seinen kräftigen Pranken zusammen und zwang sie, ihn anzusehen. „Reiß dich jetzt endlich zusammen! Ich habe keine Lust ein weinerliches dummes Weib um mich zu haben. Was passt dir nicht? Das viele Krabbelviehzeug? Deshalb führst du dich so auf, wegen ein paar albernen Kakerlaken? Das kann doch nicht wahr sein!“
Johanna war von seiner Wut viel zu überrascht, um ihm zu antworten. Sie war in seinen starken Armen gefangen und wusste schlagartig, dass sie Angst vor ihm hatte. Nicht erst seit heute, sondern schon seit Langem, eigentlich von Anfang an. Seine Dominanz war so gewaltig, dass sie sich ihm von der ersten Sekunde an untergeordnet hatte, weil sie ihn fürchtete. Dabei war es doch Liebe gewesen! Oder etwa nicht? Seine Kraft beschützte sie, ängstigte sie aber auch. So wie im Bett, wenn er auf ihr lag und sie mit seiner Masse schier erdrückte und sie zu einem Rhythmus zwang, der ihr nicht gefiel und ihr wehtat.
„Entschuldige“, sagte sie leise. Ihr fiel nichts anderes ein. Fast erwartete sie, dass er sie schlug, war aber gleichzeitig überzeugt, dass er niemals die Hand gegen sie erheben würde.
„Setz dich aufs Bett“, befahl er. „Ich bin gleich zurück. Rühr dich nicht von der Stelle!“
Sie rutschte in die enge Lücke zwischen Bett und Wand und blieb mit gesenktem Kopf sitzen. Sie dachte an nichts, ihr Kopf war wie leergefegt.
Während sie auf seine Rückkehr wartet, begann sie sich zu fragen, was der ganze Unsinn eigentlich sollte. Was wollte sie denn hier, auf diesem Bett, in dieser Hütte? In diesem Land, so weit weg von zu Hause? Sie sollte sich das alles nicht gefallen lassen und einfach weggehen. Ihre Heirat und diese Reise waren ein fürchterlicher Fehler gewesen. Sie sollte aufstehen und Kurt erklären, dass sie ihn und Australien verlassen würde.
Da ging die Tür auf, und Kurts Umrisse wurden gegen das einfallende Licht im Türstock sichtbar. Er war ein Riese. Übermächtig. Sie würde niemals gegen ihn ankommen. Johanna zog sich unwillkürlich in sich zusammen und war heilfroh, dass sie noch immer auf der gleichen Stelle saß und ihren frevlerischen Gedanken nicht nachgegeben hatte. Hoffentlich würde er ihr diese nicht anmerken.
„Steh auf und komm her, ich will dir etwas zeigen“, sagte er.
Sie tat, wie er befahl. Schon wieder mit leerem Kopf.
Kurt stand ganz
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