Die Auswanderinnen (German Edition)
starrte sie verblüfft an und wollte schon dementsprechend scharf antworten, gewann aber rechtzeitig ihre Fassung zurück und mahnte zur Vernunft. „Das stimmt. Was du sagst, ist völlig korrekt. Ich hätte es nicht einfach dir überlassen und dich nicht so behandeln dürfen. Entschuldige bitte. Unsere Nerven sind wohl nicht die besten, wir sollten uns erst einmal beruhigen anstatt uns gegenseitig anzugreifen.“
Isabella hatte es auf den Punkt gebracht, dachte Eva, es machte keinen Sinn sich weiter aufzuregen, das würde sie keinen Schritt weiterbringen. „Was sollen wir jetzt machen?“
„Wirst du morgen mitfahren? Bitte!“, drängte Isabella. „Ich brauche dich. Ich kann nicht alleine zu Johanna und es betrifft dich doch genauso. Schließlich waren wir drei zusammen, als es passiert ist. Außerdem ist da etwas, was mir einfach nicht aus dem Kopf gehen will, ich weiß nur nicht genau was. Aber ich weiß, dass ich noch durchdrehen werde, wenn ich es nicht bald aufkläre. Kannst du wirklich nicht von hier weg? Bitte, nimm dir doch frei. Sprich mit deinem Chef und Steve wird doch sicher nichts dagegen haben, oder?“
Eva wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl der Abend mild war, war ihr heiß, und nun bekam sie auch noch Kopfschmerzen. Sie rückte ihren Stuhl unter den Sonnenschirm, trank einen Schluck Wasser und nickte dann. „Steve ist nicht das Problem. Ich weiß selbst, dass ich mitkommen muss, aber ich kann mir nicht einfach so frei nehmen. Diese Woche habe ich allerdings noch Zeit. Wenn wir gleich morgen früh losfahren, können wir auch wieder rechtzeitig zurück sein, oder nicht?“
„Ganz bestimmt!“
„Also gut, dann rufe ich jetzt Steve an und gebe ihm Bescheid.“
Isabellas Hände, die sich ineinander verkrampft hatten, lösten sich wieder. Aber der Knoten in ihrem Magen blieb. Denn die unerklärlichen Vorwürfe, die sich seit Jahren immer wieder in ihre Gedanken schlichen, waren urplötzlich und stärker denn je zurückgekommen.
Kapitel 15
Es wurde elf Uhr vormittags, bis sie endlich losfuhren, denn Eva hatte noch auf den Rückruf ihres Chefs warten wollen, der ihr zu ihrer Überraschung auch noch die folgende Woche freigegeben hatte.
An diesem Tag kamen sie bis Gunnedah , einen Ort, in dem sie bereits vor vielen Jahren, auf ihrer fatalen Reise, nicht angehalten hatten, weil seine Motels so schäbig gewesen waren. Seit damals hatte sich nicht viel verändert, aber diesmal fragte Eva nicht lange, ob Isabella das Motel, das sie ansteuerte, gefiel oder nicht. Inzwischen war es elf Uhr nachts, und sie waren beide hundemüde von der langen Fahrt.
Sie klingelten den Besitzer aus seiner Wohnung, bezahlten vierunddreißig Dollar für eine Nacht im Doppelzimmer, gingen auf ihr Zimmer, zogen sich aus, fielen auf das quietschende Doppelbett und schliefen sofort erschöpft ein.
Als Eva aufwachte, lag Isabella mit offenen Augen neben ihr und starrte gedankenverloren an die schmutzige Decke, von der der Putz bröckelte.
„Soll ich uns eine Tasse Kaffee holen?“, fragte Eva. Trotz ihrer Müdigkeit hatte sie am vergangenen Abend, als sie angekommen waren, noch den Automaten bemerkt, der vor der Eingangshalle des Motels stand.
Isabella seufzte tief auf und stützte sich dann auf ihren Ellenbogen auf. „Ja, heißer Kaffee wäre prima. “
Wenig später kam Eva mit zwei Pappbechern frisch gebrühten Kaffees zurück und fand Isabella im Bett sitzend vor. Ihre halblangen Haare hatte sie mit einem Haarreif gebändigt, und ihr beneidenswert dunkler Teint ließ ihre Haut gesund und makellos erschienen. Nur die Partie um ihre Augen wirkte vom Schlaf etwas verquollen.
Eva reichte ihr einen Becher, ging auf ihre Seite des Bettes hinüber, zog ihre Schuhe aus und machte es sich auf der Matratze gemütlich. Der Kaffee war noch zu heiß, um ihn zu trinken, aber Eva hielt ihren Becher mit beiden Händen umfasst, als ob sie sich an ihm wärmen müsste. „Es ist schon hell draußen“, sagte sie. „Die Vögel zwitschern und es wird ein schöner Tag.“
„Du bist ja richtig munter.“ Isabella nahm einen kleinen Schluck Kaffee und verzog sofort das Gesicht. „Pfui, was ist denn das für ein ekliges Gesöff?“ kommentierte sie. „Am besten fahren wir sofort los, okay? Dieses Motel macht mich ganz depressiv. Mein Rücken schmerzt von dieser Pseudo-Matratze, und ich fühle mich, als hätte ich die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich muss so schnell wie möglich raus aus diesem
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