Die Auswanderinnen (German Edition)
Planeten vorstellte. Kein einziges Tier zeigte sich in der Mittagshitze und kein einziges Geräusch war zu hören, außer dem gleichmäßigen einschläfernden Surren der Autoreifen auf dem heißen Asphalt.
„Ich wäre beinahe eingeschlafen.“ Eva faltete die Straßenkarte auf ihrem Schoß auseinander und strich sie auf ihren Schenkeln glatt. Die vielen Linien in unterschiedlichen Farben lieferten ihr keinen Hinweis darauf, wo sie sich gerade aufhielten. Seufzend blickte sie durch die Scheibe, die von unzähligen Insektenleichen verschmutzt war. Hoffentlich würden sie bald auf ein Hinweisschild treffen.
„Ich weiß, dass du kurzfristig nicht auf dieser Welt geweilt hast“, sagte Isabella mit einem kurzen Seitenblick und grinste anzüglich. „Ich hoffe, du hattest schöne Träume.“
„Ich habe nicht geträumt, sondern mich an früher erinnert. Das passiert mir öfter, seit du hier bist. Ich muss immer an die Zeit denken, als wir noch zusammen in Sydney waren. Jahrelang habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, und jetzt stürmt auf einmal alles wieder auf mich ein. Es ist zum Verrücktwerden!“
„Das ist doch verständlich. Wir haben uns lange nicht gesehen, jeder führte sein eigenes Leben, und nun werden wir eben mit der Vergangenheit konfrontiert. Warte nur ab, bis wir bei Johanna sind. Dann wird es erst richtig heftig werden!“
„Ach Gott, ja! Zuerst werden wir wohl herausfinden müssen, was es mit diesem Knochenfund auf sich hat. Es ist schon komisch, aber wenn ich an früher denke, fallen mir immer nur alle möglichen unwichtigen Dinge ein. Mir kommen Erinnerungen in den Sinn, die keinerlei Bedeutung mehr haben, statt dass ich mir überlege, wie es jetzt, in der Gegenwart, weitergehen soll. Wie wir Johanna helfen können, das Problem zu lösen.“
„Unsinn“, widersprach Isabella. „Es gibt kein Problem. Du weißt so gut wie ich, dass Johanna nur Panik macht. Man hat ein paar Knochen im Busch gefunden, das ist alles.“
„Und wenn es wirklich Kurts Überreste sind?“
„Natürlich sind sie das nicht“, beharrte Isabella auf ihrem Standpunkt.
„Und wenn doch?“
„Wen interessiert das schon? Keine Menschenseele! Außer Johanna, natürlich. Die Polizei wird überhaupt nicht auf die Idee kommen, dass es Kurt sein könnte. Sein Tod wurde doch damals offiziell bestätigt, warum sollte man diese Knochen jetzt also plötzlich mit Kurt in Verbindung bringen? Es wird darüber gar keine Akte mehr geben, das ist doch alles schon so lange her, dass es wahrscheinlich sogar schon verjährt ist.“
Eva dachte darüber nach, warum Isabella von Verjährung sprach. Eine seltsame Wortwahl für jemanden, der sich so gut wie gar nicht mehr an das erinnerte, was damals geschehen war. Diese Überlegung verunsicherte Eva so sehr, dass sie beschloss, vorerst lieber nichts mehr zu sagen.
Um die plötzlich entstandene und irgendwie peinliche Stille zwischen ihnen zu überbrücken, konzentrierten sich die beiden Frauen auf die Gegend und musterten übertrieben aufmerksam den an ihnen vorbeiziehenden Straßenrand.
„Ich sage dir, wenn nicht bald das Schild kommt, haben wir die verdammte Abzweigung tatsächlich verpasst“, sagte Isabella. Kurz darauf, wie zur Bestätigung tauchte auch schon der Wegweiser nach Lightning Ridge auf. Isabella bremste und bog dann nach rechts ab. Sie waren nur noch etwa zwanzig Kilometer vom Ort entfernt. Eva entspannte sich wieder etwas, aber der angenehme, tranceartige Zustand von vorhin wollte sich nicht mehr einstellen. Die Vergangenheit schien ihr wie ein verworrener Wollknäuel mit vielen losen Enden, die darauf warteten wieder miteinander verknüpft zu werden.
„Dein Wort in Gottes Ohr“, nahm sie nach ein paar Minuten das abgebrochene Gespräch wieder auf. „Ich habe mir bis jetzt auch keine Sorgen gemacht. Aber in spätestens einer halben Stunde treffen wir Johanna. Wir sollten uns daher überlegen, wie wir sie beruhigen können.“
Isabella sah Eva kopfschüttelnd an. „Wenn Johanna sich unbedingt aufregen will, können wir nichts dagegen tun. Schließlich war sie diejenige, die sich damals über den Unfallhergang geäußert hat. Alles, was sie zu Protokoll gegeben hat, basiert auf ihrem Augenzeugenbericht. Wir haben damit nichts zu tun.“
„Ach, wirklich nicht?“ Eva hatte die Stirn gerunzelt, als müsste sie nachdenken, dabei erinnerte sie sich sehr genau. „So kann man das aber leider nicht sehen! Ich habe bezeugt, dass Johanna Kurt zur Jagd gefahren
Weitere Kostenlose Bücher