Die Auswanderinnen (German Edition)
den scheußlichsten, konnte sie nicht einmal jetzt erzählen. Denn dass er nur noch dort unten im Schacht, in der feuchten Dunkelheit, seinen Trieb befriedigen konnte, war ihr auch damals schon abartig vorgekommen und zutiefst zuwider gewesen. Dass er sie ankettete, war ihr dagegen fast schon selbstverständlich. Er hatte sie auch in Sydney oft gefesselt. Daran hatte sie sich bereits gewöhnt.
„Wenn ich ihm meine Angst gezeigt hätte, wäre alles nur noch schlimmer geworden“, schloss Jo Ann ihre Erzählung. „Ich wollte ihn nicht provozieren.“
Eva und Isabella starrten sie voller Entsetzen und mit blutleeren Gesichtern an.
„Das ist die grauenhafteste Geschichte, die ich jemals gehört habe“, flüsterte Eva schließlich. Isabella nickte nur, sie war völlig fassungslos.
„So schlimm wie es klingt, war es gar nicht“, schwächte Jo Ann wenig glaubwürdig ab.
„Gut, dass er bereits tot ist, sonst würde ich ihn jetzt umbringen“, flüsterte Isabella voller Abscheu.
‚Das hast du doch schon getan!“ dachten Eva und Jo Ann gleichzeitig. Und wieder tauschten sie einen kurzen Blick aus, den Isabella dieses Mal aber nicht bemerkte, weil sie aufgestanden und zur Bar gegangen war, um drei weitere Whisky zu bestellen. Doppelte! Oder besser gleich eine ganze Flasche! Denn ihr Gefühl sagte ihr, dass sie an diesem Abend nicht noch mehr Wahrheiten ertragen würden, und es wohl am besten wäre, wenn sie sich mit möglichst viel Alkohol betäuben, dann in ihre Betten fallen und traumlos schlafen würden.
Und genau so kam es. John brachte den bedrückt schweigenden Frauen die Whiskyflasche an den Tisch und setzte sich dann einfach zu ihnen, nachdem nur noch wenige Gäste im Pub waren. Er legte den Arm um Jo Ann, und als sie diesen nicht abschüttelte, dankte er den Freundinnen. „Ihr müsst öfter kommen“, sagte er, „ihr habt einen positiven Einfluss auf sie.“
Dennoch wollte kein anregendes Gespräch mehr zwischen ihnen aufkommen. Stattdessen unterhielten sie sich über allerlei Belangloses, bis das Pub schloss und sie die Flasche gemeinsam ausgetrunken hatten. Sogar Eva hatte tüchtig gebechert und ging nun mit Isabella schwankenden Fußes zum Motel zurück, wo sie sofort zu Bett gingen. Vom Whisky benebelt und viel zu müde, um sich zu unterhalten, machte Isabella noch eine Bemerkung über schnarchende Frauen, dann war sie auch schon eingeschlafen.
Jo Ann war hingegen von John, der darauf bestanden hatte, dass sie ihren Wagen vor dem Pub stehen ließ, nach Hause gefahren worden. Vor dem Tor stieg er aus, beruhigte Tiger, der begeistert bellte, und dirigierte Jo Ann am Ellbogen zur Haustür. Er hatte sie noch nie zuvor so betrunken erlebt und half ihr deshalb, die Eingangstür aufzusperren.
„Bist du in Ordnung?“, fragte er noch, bekam aber keine Antwort. Jo Ann marschierte geradewegs durch das Wohnzimmer auf ihr Schlafzimmer zu, warf sich voll bekleidet auf ihr Bett und schlief sofort ein. John blieb noch eine Weile vor ihrem Bett stehen. Wenn er ihr jetzt vorsichtig aus den Kleidern half und dabei besonders zärtlich zu ihr wäre, würde sie wahrscheinlich seinem sanften Verlangen nachgeben, vielleicht würde er sogar genügend Begierde in ihr wecken, dass sie sich leidenschaftlich lieben würden. Allerdings würde er damit ihre momentane Hilflosigkeit ausnutzen, und das konnte er vor sich selbst nicht verantworten. Er verließ voller Bedauern ihr Schlafzimmer, schloss leise die Haustür hinter sich und fuhr nach Hause.
Kapitel 28
Lightning Ridge, damals
Der Winter verging, ohne dass sie Besuch bekamen. Sie hatten kein Telefon. Kurt fand, dass so ein Apparat eine unsinnige Verschwendung wäre, wie so vieles andere auch. Johanna besaß auch keine Waschmaschine, und sie durfte nicht in den Waschsalon im Dorf gehen. Sie musste alles mit der Hand waschen. Allerdings gab es nicht allzu viel zu waschen, denn in der Mine trugen sie stets nur einfache Arbeitshosen und alte Sweatshirts, die sie selten reinigte, weil sie sofort wieder dreckig wurden, sobald sie auch nur die Schachtleiter hinabkletterten. Kurt hatte ein gutes Paar Jeans und ein Hemd, das immer sauber sein musste, weil er sich jeden Abend vor der Heimfahrt umzog, bevor er ins Pub ging. Sie selbst brauchte keine saubere Kleidung, da sie sowieso nirgendwo hingehen durfte. Ihre Einkäufe musste sie auf dem Weg von der Mine nach Hause erledigen. Kurt hielt dann jedes Mal vor dem einzigen Lebensmittelladen im Dorf an und wartete
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