Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
diese Namen waren mir bekannt, es waren tagtäglich gesagte und gerufene Namen von Kunden im Geschäft, ich hatte sie fünfundzwanzig Jahre nicht mehr gehört. Von den einen und anderen sagte er, sie seien gestorben, auf natürliche oder auf unnatürliche Weise. Er habe eine Schwester gehabt, die sei mit einem Amerikaner nach Amerika, nach New York, dort sei sie elendig zugrunde gegangen. Ob ich mich an seine Schwester erinnern könne, ein
bildschönes
Mädchen. Den Podlaha habe er gefürchtet, der habe ihn einmal beim Diebstahl von ein paar Äpfeln ertappt. Er habe ihm nicht nur die Äpfel gestohlen, sagte er. Die heutigen jungen Leute hätten keine Ahnung, wie schwierig damals alles gewesen sei. Wenn man ihnen eine Andeutung mache über den Krieg und die Nachkriegszeit und über die Nazis und über die Amerikaner, alles zusammen die Hölle selbst, verstünden sie nichts. Seiner Mutter habe er jahrelang den Rum in der Flasche bei uns im Keller geholt, um ihn ihr ans Bett zu bringen, in welchem sie elendig zugrunde gegangen sei. Aber sie habe ein so gutes Herz gehabt, daß sie, buchstäblich nur noch als Skelett, mit ihrem Krebs ein Jahr lang existiert und außer Rum und in den Rum getunkten Semmeln nichts mehr zu sich genommen habe. Sie sei
eine religiöse Frau
gewesen, aber im Leben nie in die Kirche gegangen.
Gottesfürchtig, aber nicht katholisch
, sagte er. Darauf wollte er wissen, was ich jetzt machte. Schreiben, sagte ich, damit konnte er nichts anfangen, und er konnte sich darunter auch nichts vorstellen, und er bohrte nicht länger mit dieser Frage. Ob ich eine Zigarette hätte. Ich verneinte. Der Podlaha habe ihm imponiert, einerseits habe er ihn gefürchtet, andererseits habe er ihm imponiert, weil er ein so gutes Geschäft machte. Die Wiener seien immer die klügeren Köpfe gewesen. Auch er verachtete, wie alle Provinzler, die Wiener. In einem gewissen Sinn, sagte er, ohne zu sagen, was er darunter verstand, und es war darunter auch gar nichts zu verstehen, sei er mit seiner Lage zufrieden, sei sie auch noch so beschissen. In seinem Alter sei einem alles gleichgültig, man hänge am Leben, aber egal sei es auch, wenn es vorbei sei. Egal, das war es. Das ist eine Altersfrage. Egal. Auch mir war zu diesem Zeitpunkt alles egal. Ein schönes, ein klares, ein kurzes, einprägsames Wort:
egal
. Wir verstanden uns. Er meinte, ich solle mit ihm zu Mittag was essen gehen, und ich machte einen Umweg und ging mit ihm essen, in den Sternbräugarten hinein auf ein Bier, Wurst und Brot. Er habe sich unter seinem Leben etwas anderes vorgestellt, als er dann tatsächlich habe leben müssen, meinte er, nicht mit diesen Worten, aber dem Sinn nach. Mir war es nicht anders ergangen. Die Scherzhauserfeldsiedlung und in ihrem Mittelpunkt der Karl Podlaha waren auferstanden. Wir hatten uns an vieles erinnert.
Servus
und
es ist alles egal
, hatte er zum Abschluß gesagt, als ob ich das gesagt hätte. Mein besonderes Kennzeichen heute ist die Gleich
gültigkeit
, und es ist das Bewußtsein der Gleich
wertigkeit
alles dessen, das jemals gewesen ist und das ist und das sein wird. Es gibt keine hohen und höheren und höchsten Werte, das hat sich alles erledigt. Die Menschen sind, wie sie sind, und sie sind nicht zu ändern, wie die Gegenstände, die die Menschen gemacht haben und die sie machen und die sie machen werden. Die Natur kennt keine Wertunterschiede. Es sind immer wieder nur Menschen mit allen ihren Schwächen und mit ihrem körperlichen und seelischen Schmutz an jedem neuen Tag. Es ist gleich, ob einer mit seinem Preßlufthammer oder an seiner Schreibmaschine verzweifelt. Nur die Theorien verstümmeln, was doch so klar ist, die Philosophien und die Wissenschaften insgesamt, die sich der Klarheit in den Weg stellen mit ihren unbrauchbaren Erkenntnissen. Es ist beinahe alles durchlaufen, was jetzt noch kommt, überrascht nicht, weil alle Möglichkeiten bedacht sind. Der so viel falsch gemacht hat und irritiert hat und gestört und zerstört hat und vernichtet hat und sich abgequält hat und studiert hat und sich oft erledigt hat und halb umgebracht hat und geirrt hat und geniert und wieder nicht geniert hat, wird sich in Zukunft irren und vieles falsch machen und wird irritieren und stören und zerstören und vernichten und sich abquälen und studieren und sich erledigen und halb umbringen und alles das fortsetzen, bis zum Ende. Aber es ist letzten Endes alles egal. Die Karten werden aufgeschlagen, nach und nach. Die Idee
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