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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Großmutter, die ich auf dem Gang gehört hatte, rufen lassen, und es mag den beiden mit allen möglichen Hausarbeiten beschäftigten und allein von der Tatsache des Krankenhausaufenthaltes meines Großvaters, ihres Mannes und Vaters, in Ungewißheit und Angst versetzten Frauen schließlich auf die angespannten Nerven gegangen sein, daß ich sie, möglicherweise viel öfter als tatsächlich erforderlich, zu mir in das Großvaterzimmer herein und an mein Bett gerufen hatte, denn plötzlich hatten sie sich meine fortwährenden Mutter- und Großmutterrufe verbeten und mich in ihrer gesteigerten Ungewißheit und Angst als einen sie ihrer Meinung nach ganz bewußt und bösartig peinigenden
Simulanten
bezeichnet, was mich, der ich ihnen zu früheren Gelegenheiten sicher für diese Bezeichnung Anlaß gegeben hatte, in diesem tatsächlich ernsten und, wie sich sehr rasch herausstellen sollte, lebensgefährlichen Zustande, zutiefst verletzen mußte, und waren, so sehr ich sie auch darum immer wieder, Mutter und Großmutter rufend, gebeten hatte, nicht mehr im Großvaterzimmer erschienen. Zwei Tage später erwachte ich in demselben Krankenhaus, in welchem mein Großvater schon mehrere Tage gewesen war, aus einer Bewußtlosigkeit, in welcher meine Mutter und meine Großmutter mich im Großvaterzimmer entdeckt hatten. Der von den erschrockenen Frauen herbeigerufene Arzt hatte mich gegen ein Uhr früh, wie ich später von meiner Mutter erfahren habe, nicht ohne Vorwürfe gegen Mutter und Großmutter, ins Krankenhaus transportieren lassen. Die Erkältung, die ich mir beim Abladen von mehreren Zentnern Kartoffeln im Schneetreiben auf dem Lastwagen vor dem Magazin der Lebensmittelhandlung des Podlaha zugezogen und die ich viele Monate ganz einfach ignoriert hatte, war jetzt nichts anderes als eine schwere sogenannte
nasse Rippenfellentzündung
gewesen, die von jetzt an während mehrerer Wochen immer wieder innerhalb weniger Stunden zwei oder drei Liter einer gelbgrauen Flüssigkeit produzierte, wodurch naturgemäß Herz und Lunge in Mitleidenschaft gezogen und der ganze Körper binnen kürzester Zeit auf die gefährlichste Weise geschwächt worden war. Schon kurz nach meiner Einlieferung in das Krankenhaus war ich punktiert und waren, sozusagen als erste lebensrettende Maßnahme, drei Liter dieser gelbgrauen Flüssigkeit aus meinem Brustkorb abgelassen worden. Doch von diesen Punktionen später. Aufgewacht bin ich und also wieder zu Bewußtsein gekommen in einem dieser riesigen, zum Teil mit Gewölben ausgestatteten Krankensäle, in welchen zwischen zwanzig und dreißig Betten standen, einmal weißgestrichene, aber längst an allen Ecken und Enden im Laufe der Jahre und Jahrzehnte abgestoßene, völlig verrostete Eisenbetten, die in den Sälen so eng aneinandergeschoben waren, daß es nur unter Anwendung von Geschicklichkeit
und
Brutalität möglich war, zwischen ihnen durchzukommen. In dem Saal, in dem ich aufgewacht bin, standen sechsundzwanzig Betten, jeweils zwölf waren so an die gegenüberliegenden Wände geschoben, daß zwischen ihnen auf dem so entstandenen Mittelgang noch zwei Platz hatten. Diese zwei Betten waren bis in die Höhe von eineinhalb Metern vergittert gewesen. Nachdem ich in dem Krankensaal aufgewacht war, hatte ich aber nur zwei Tatsachen feststellen können: daß ich in ein Bett am Fenster und unter ein kalkweißes Gewölbe gelegt worden war. Auf diesem Gewölbe oder wenigstens auf dem Gewölbeteil über mir haftete während der ersten Stunden nach meiner Bewußtlosigkeit mein Blick. Aus dem ganzen Saal hatte ich die Stimmen von alten Männern hören können, die ich nicht sehen konnte, weil ich zu schwach gewesen war, auch nur meinen Kopf zu bewegen. Als ich zum erstenmal zur Punktion abgeholt worden war, sind mir naturgemäß noch nicht die ganze Größe und die ganze Häßlichkeit dieses Krankensaales zu Bewußtsein gekommen, was ich wahrgenommen hatte, waren Schatten von Menschen und Mauern und von Gegenständen an diesen Menschen und Mauern und die mit diesen Menschen und Mauern und Gegenständen zusammenhängenden Geräusche, alles zusammen hatte ich auf diesem Weg durch den Krankensaal, auf welchem mir mehrere geistliche Schwestern und wie diese weißgekleidete Pfleger behilflich gewesen waren, schon ein von den vielen Penicillin- und Kampferspritzen auf ein Minimum herabgesetztes, mich aber tatsächlich in einen gegenüber meinen Anfangsschmerzen nicht nur erträglichen, sondern angenehmen Zustand

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