Die Babysammlerin (Contoli-Heinzgen-Krimi)
dir.“
Cara wurde es augenblicklich schlecht. Das war also die Aufgabe. Ohne sich selbst zu spüren, setzte sie einen Schritt vor den anderen. In ihr brach die Hölle los. Stimmen sprachen durcheinander. Eine verschaffte sich die Oberhand. Dunkel, drohend. Gerade in dem Moment, als sie einfach in dem Gewühl von Menschen, Hütten und was sonst noch alles um sie herum war, verschwinden wollte. Rennen, einfach nur weg. Aber wo hätte sie hin sollen? Stärker vernahm sie die drohende Stimme, diese, die fragte: „Was tust du, solltest du jemals fortlaufen?“ Nein, so ging das nicht. Sie musste gehorchen. Natürlich würde sie gehorchen und mit einem Mal, als hätte jemand den dafür zuständigen Knopf gedrückt, fühlte sie sich ihrer Aufgabe gewachsen. Sie vergaß sogar Lenia in ihrem Rücken. Etwas Frisches, ging es ihr im Kopf herum. Einige Babys waren völlig nackt, andere in schmutzige Tücher gewickelt, aber was ganz frisches konnte sie nicht entdecken. Schließlich beugte sie sich und nahm eines der Babys hoch. Hielt es im Arm und wog es sanft hin und her. Sie wartete, ob jemand kommen würde und nach dem Kind verlangte. Ihr Blick kreiste, aber niemand schien sie hier zu beachten. Das Baby weinte leise. Wahrscheinlich hatte es Hunger, überlegte Cara und steckte dem Säugling ihren Finger in den Mund. Sofort begann er, heftig zu saugen. Langsam machte sie sich auf den Rückweg. Einige Meter vor ihr erspähte sie Lenia, die ihr diskret zuwinkte. Cara erhöhte ihr Schritttempo. Erst am Wagen bemerkte sie, wie schweißnass sie war, wissend, dass dies nicht nur an der Außentemperatur und der hohen Luftfeuchtigkeit lag. Sie kletterte mit dem Säugling auf dem Arm in den Wagen. Erstaunt bemerkte sie darin zwei weitere junge Mädchen, ihre Lippen mit Heftpflaster verklebt, die Arme auf dem Rücken zusammengebunden, knapp einige Jahre älter als sie selbst. Langsam kam Cara zur Besinnung. Sie rauben Kinder für Satan. O mein Gott, durchfuhr es sie und vergaß, dass sie selbst auch eines gestohlen hatte.
Den 24. Dezember, den Vorabend des Christfestes, den dämonischen Abend, erlebte Cara in einem lethargischen Zustand, verursacht durch eine beträchtliche Menge Haschischkekse. Das Spektakel der Messe, die Opferungen der aus den Slums entführten Kinder, nahm sie kaum wahr. Mit vernebeltem Blick starrte sie nach vorne, als unter gemurmelter Litanei der Kultanhänger die Zeremonie des Bluttrinkens begann. Sie erkannte verschwommen ihren Vater Simeon unter den Priestern neben dem Guru. Sie alle führten den Kelch an den Mund. Sie alle tranken das Blut, das sie mit den Mächten des Bösen verbinden und ihnen magische Kraft verleihen sollte. Apathisch dachte Cara für Sekunden, wie sich Simeon langsam an die Spitze arbeitete.
Erst viel später. Zu der Zeit, als der Effekt der Drogen seinen Höhepunkt erreichte, kam es zum sexuellen Verkehr aller mit allen. Cara fand sich zum wiederholten Male in den Armen irgendeines Kultgenossen wieder.
Ihr erster geordneter Gedanke war, dass sie dringend neue Kekse brauchte. Irgendjemand reichte ein Glas mit gelber Flüssigkeit herum. Ohne zu überlegen, trank Cara daraus. Sie begann auf der Stelle zu husten und schüttelte sich. Die Flüssigkeit brannte in ihrem Hals, aber ihr Magen füllte sich mit angenehmer Wärme. Sie leerte das Glas und warf es achtlos neben sich. Hinterher bemühte sie sich, aufzustehen, knickte aber gleich wieder ein. Ihre Augen suchten Nora. Mutter war doch anfangs an ihrer Seite gewesen. Wo hatte sie sich hingeschlafen? Cara versuchte erneut, aufzustehen, diesmal stützte sie ihr letzter Beischläfer. Endlich erblickte sie Nora, die mit geschlossenen Augen weggetreten an der Wand lehnte. Cara sah den Mann an ihrer Seite an, der bestimmt zwanzig Jahre älter war als ihre Mutter und den sie bis heute in ihrer täglichen Umgebung noch gar nicht bemerkt hatte. Sie wollte zu ihrer Mutter, irgendwie helfen, hatte keinen Schimmer, wie. Mit schwerem Arm deutete Cara auf ihren Umhang am Boden. Der Beischläfer, der ihr immer noch mit einer Hand Halt gab, hob ihn mit der anderen auf und warf ihn ihr halbwegs um.
„ Hilf mir da rüber“, bat Cara ihn und zeigte auf Nora. Sie stiegen über im Sexrausch versunkene Pärchen. Caras Bein verfing sich in einem herumwirbelnden Arm. Sie kippte direkt auf ihre Mutter. Der Aufprall hätte Nora wecken müssen, aber sie regte sich nicht. Cara erhob sich wackelig, tätschelte solange Noras Wangen, bis sie die Augen
Weitere Kostenlose Bücher