Die Baeren entdecken das Feuer
blickt man auf eine Straße hinunter. Ich saß oft mit Katie auf den Verandastufen im Windschatten des Hauses und beobachtete die vorbeifahrenden Autos und die Möwen, die darüber im Wind segelten. Am schönsten war es dort in der Abenddämmerung. Manchmal, wenn die Sonne gerade untergegangen war, hörte ganz plötzlich der Wind zu blasen auf. Dann verharrten die Möwen flatternd in der Luft, und mit angehaltenem Atem lauschten Katie und ich dem Meeresrauschen, das dumpf aus der Tiefe heraufstieg.
Es war während eines solchen Moments, als sich das Kind zum erstenmal mit Bewegungen bemerkbar machte. Das Rauschen füllte gerade die Stille auf, und die Möwen gerieten ins Wanken, da zuckte Katie plötzlich zusammen und warf mir einen Blick zu. Das Baby habe sich gerührt, sagte sie, mit einem Ruck, als ob ein winziges Vögelchen gegen den Leib geflattert sei.
Dann war der Sommer vorüber, und für das Haus auf dem Hügel wurde es uns zu kalt. Wir zogen in eine kleine Ortschaft rund dreißig Meilen landeinwärts, wo ich eine Stelle annahm. Wir richteten uns ein und warteten. Katie hatte sich bislang immer schwer damit getan, Freundschaften zu schließen, doch jetzt gab es ein Gesprächsthema, das sie mit sämtlichen Nachbarinnen verband. Sie überhäuften uns mit Kleidungsstücken, guten Wünschen und Ratschlägen. Mehrmals rief der Pfarrer bei uns an, und schließlich traten wir der Kirche bei. Für uns stand außer Frage, daß wir einen Jungen bekommen sollten. Wir wollten ihn George nennen.
Im Dezember endlich war es so weit. Ich mußte Katies Zimmer im Krankenhaus verlassen und setzte mich in den Warteraum. Es war ein hübscher Warteraum mit relativ neuen Ledersesseln, zahlreichen Aschenbechern und einem bunten Bild von Badeurlaubern bei Donaldson Beach.
Auf diesem Bild war es wieder Sommer. Die Wellen wogten sanft, und es schien war zu sein, denn die Kinder spielten im Wasser. Ihre Mütter bildeten kleine Grüppchen am Strand, unterhielten sich miteinander oder sonnten sich. In der Ferne, wo das Hochland ins Meer stürzt, waren die Klippen zu erkennen, wo wir den Sommer über gewohnt hatten. Hier auf dem Bild senkte sich das Land allmählich ab, und der Strand war breit und eben und voller Menschen.
Ich betrachtete das Bild stundenlang. Alle, die darauf abgebildet waren, fühlten sich offenbar rundum wohl. Diese Stimmung färbte auch auf mich ab. Immer wieder kam die Krankenschwester herein, um mit mitzuteilen, daß es noch eine Weile dauern werden, drei Stunden oder auch nur zwei, daß die Abstände zwischen den Wehen soundso lang seien. Ich hoffte, daß Katie nicht allzu große Schmerzen hatte, aber die Schwester sagte, sie halte sich tapfer. Die Schmerzen, sagte sie, kämen wie in Wellen, die mit der nötigen Entspannung und Mitwirkung durchaus zu ertragen seien.
Danach sah ich die Schmerzen als Wellen an, die ein ums andere Mal größer waren. Wo aber befand sich Katie? Ich suchte den Strand nach ihr ab, versuchte, dieses seltsame Bild zu komplettieren. Mein Sohn war im Wasser und mühte sich, ans Ufer zu gelangen? Oder davon wegzukommen? Oder waren sie womöglich ein und dasselbe: das Kind und die Schmerzwellen, die der Mutter zusetzten wie die Brandung dem Land, jene meilenlangen Wogen, die gegen Fels und Luft schlugen? Ich wurde allmählich seekrank. Unter meinen Füßen wähnte ich den Boden schwanken. Doch plötzlich kehrte Ruhe ein; die Krankenschwester kam zur Tür herein und beglückwünschte mich.
Ich sei Vater eines Jungen, sagte sie. George. Das Kind sei kerngesund und wiege fünf Kilo und hundert Gramm. Ein Großteil davon falle auf die Flügel ab. »Ja«, sagte sie, »er hat Flügel! Was aber seinem hübschen Aussehen keinen Abbruch tut.«
Katie war schon wieder auf ihrem Zimmer, erschöpft, aber immer noch wach, als ich hereinstürmte. »O ja!« sagte sie. »Er hat kleine weiße Hügel, wie ein Engel. Als sie ihn hochhielten, sah er aus wie ein Engel.«
Darüber war ich sehr erstaunt, so auch der Arzt. »Ich habe den Jungen untersucht«, sagte er. »Er ist gesund und kräftig. Arme und Beine sind perfekt ausgebildet. Aber diese Flügel… So etwas ist mir, offengestanden, noch nie zu Gesicht gekommen.«
Normalerweise ist Vätern der Zutritt zur Kinderstation untersagt. In diesem besonderen Fall aber ließ man eine Ausnahme gelten, und der Arzt nahm mich mit. An anderen Babies fiel mir nur eines auf: sie schrien. George gab keinen Laut von sich. Er lag auf dem Bauch, und so fiel
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