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Die Baeren entdecken das Feuer

Die Baeren entdecken das Feuer

Titel: Die Baeren entdecken das Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
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wieder vorbei. Katie gab sich ruhig und gelassen; sie schien zu ahnen, worauf ich zu sprechen kommen wollte. Und ich konnte meinen Blick nicht von Georges Flügel lassen. Sie erleuchteten den ganzen Raum, wirkten wie eine Schneewächte bei Nacht.
    Am nächsten Morgen ging ich wieder zum Pfarrer. »Es läuft doch alles auf diese eine Frage hinaus«, sagte ich. »Warum sollte Gott George mit Flügeln ausgestattet haben, wenn sie dann doch nur wegzumachen wären?«
    Der Pfarrer antwortete mit dem Hinweis, daß Gottes Wege unergründlich seien. »Warum schenkt er den Menschen Leben, wenn er sie wieder sterben läßt?« fragte er. »Warum hat er den Himmel geschaffen und Fische, die ihn nicht sehen können?« In diesem Stil fuhr er mehrere Minuten lang fort, ehe er zu dem Schluß kam: »Sie wissen in Ihrem Herzen doch selbst ganz genau, daß der Arzt und ich recht haben: Die Flügel müssen entfernt werden.«
    Mag sein, dachte ich. Mag sein, daß beide recht haben. Mir schwirrte der Kopf vom vielen Grübeln. Es wurde Zeit, mit Katie zu reden. Ich verabschiedete mich vom Pfarrer und ging nach Hause, entschlossen, nicht länger zu zaudern. Wir, Katie und ich, mußten uns zusammensetzen und darüber reden.
    Ich legte mir meine Argumente zurecht. Wir standen vor einer denkbar einfachen Wahl: Sollte George ein normales glückliches Leben führen können oder mit seinen Flügeln zur Einsamkeit verurteilt sein? Ich sah George als richtigen Jungen vor mir, im Kreis von Gleichaltrigen, spielend; als erwachsenen Mann mit Frau und Kindern; und dann wieder als einen Jungen, der unbeschwert über den kurzgeschorenen Rasen eines Sportplatzes läuft. Doch da waren zwei Georges.
    Der andere war dünn, zart und dunkelhaarig. Der schmächtige Körper verschwand unter mächtigen Schwingen; die Finger waren so dünn, daß ich das Blut unter der Haut strömen sah. In den großen, dunklen Augen schimmerten hell die leuchtenden Flügel… Spontan machte ich kehrt und besuchte den Arzt in seiner Praxis. Ich durfte mich von diesen Schreckgespinsten nicht irre machen lassen.
    »Herr Doktor«, sagte ich, »was soll mit den Flügeln geschehen, wenn sie amputiert sind? Werden Sie sie einzeln entfernen oder beide auf einmal? Werden sie hell und sauber bleiben oder einschrumpeln und zerfallen?«
    »Was damit geschehen soll? Darüber können Sie selbst entscheiden. Die Flügel werden einzeln entfernt, und sie zu konservieren ist kein Problem. Vielleicht wollen Sie sie einem Panoptikum oder dergleichen überlassen. Oder auch behalten. George könnte sie wie eine Trophäe an der Wand seines Kinderzimmers aufhängen.«
     
    Nun, ich war lange genug um den heißen Brei geschlichen. Ich kam zu Hause an. »Katie«, sagte ich, »der Doktor meint, wir sollen Georges Flügel abschnei… entfernen lassen.« Sie gab keine Antwort. »Der Pfarrer findet das auch. Und ich gebe den beiden recht.« Ich malte ihr aus, wie unser Junge verstoßen und ein Leben als emotionaler Krüppel würde fristen müssen. »Er wird nicht ewig ein Baby bleiben«, sagte ich. »Schau in die Zukunft.«
    Sie hielt den Jungen im Arm und musterte mich, während ich sprach, mit neugierigem Blick. Ich sah ihn, älter geworden, immer noch über kurzgemähten Rasen rennen. Und da war wieder dieser andere, der dünne Junge mit dunklen Augen und großen weißen Flügeln. »Siehst du denn nicht, Katie; er ist ganz allein.« Mir fiel es schwer, einen klaren Gedanken zu fassen; er warf mir einen Blick zu, schaute zurück aus seinem Traum. »Er ist ein Krüppel. Er kann nicht laufen, nicht tanzen, sich nicht einmal richtig hinsetzen.« Er stand auf einem hohen Hügel, das Meer im Rücken – jetzt hatte ich dieses Bild vor Augen. Katie blickte aufs Wasser hinaus, dann zu mir zurück. Als er zu sprechen anfing, drehte sich George in den Wind und hob die zitternden Flügel an, bis über den Kopf…
    »O nein«, sagte Katie. »Er ist kein Krüppel; er kann fliegen!« Wir sahen ihn nach vorn fallen und dann aufsteigen. Die Füße lösten sich vom dichten Gras, und die ausgebreiteten Schwingen rührten sich. Katie lachte: »Warum sollte er Bus fahren wollen? Warum sollte er zu Fuß gehen, wo er doch im Wind segeln und schweben kann?« Wir sahen ihn davonfliegen. Und noch einer schaute zu: Der über den Sportplatz laufende Junge blieb plötzlich stehen und schaute nach oben. Im letzten Sonnenlicht blinkte es weiß, hoch oben, und dann legte sich über den Jungen am Boden der große Flügelschatten, der den

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