Die Baeren entdecken das Feuer
mein Blick sofort auf seine Flügel, die auf dem Rücken zusammengefaltet waren, nicht gerade groß, aber sehr hell. Sie zitterten, als wir die Tür hinter uns zuzogen.
Die Sache sprach sich schnell herum im Ort. Alle gratulierten Katie und mir, wollten George sehen. Von überall her kamen Reporter und Ärzte, und für eine Weile waren wir richtig berühmt. Unser Arzt verfaßte einen Bericht für ein medizinisches Journal, und ich hatte zwei Wochen Urlaub. Wir hatten unzählig viele Fragen zu beantworten, obwohl sich nur wenig sagen ließ. Es gab überhaupt keine Erklärungen, nicht einmal eine Vermutung; es war einfach bloß kurios: George hatte Flügel.
Ich holte Katie und George nach Hause. Ziemlich schnell wurde es dann wieder etwas stiller um uns, zumal kurze Zeit später in Kansas ein Säugling geboren wurde, der pfeifen konnte – nicht etwa irgendeine Melodie oder dergleichen; statt zu schreien gab das Kind Pfeiftöne von sich, mehr nicht. Aber es wurde eine große Geschichte daraus gemacht, und wir waren bald vergessen. Gelegentlich tauchte der eine oder andere Reporter oder Mediziner bei uns auf. Denen sagte ich dann, daß ich mich wieder bei ihnen melden würde, sobald George die ersten Flugversuche unternähme.
Wie zu erwarten war, stellten sich uns einige sonderbare Probleme. Eines war die Sache mit dem Flaum. George war erst wenige Tage zu Hause, als sich kleine Flaumflusen von den Flügeln lösten. Wir sorgten uns, daß er im Schlaf daran ersticken könnte. Nach jeder Mahlzeit rieb ihm Katie mit der Hand die Flügel ab, damit die Krippe von den feinen Federchen frei bliebe. Schwierigkeiten gab es auch beim Baden, denn wenn die Flügel naß wurden, dauerte es Stunden, ehe sie wieder trocken waren. Bald aber lösten sich beide Probleme auf einmal, als eine Art Öl die Flügel zu imprägnieren begann. Schließlich pflegten wir das Gefieder nach Kräften, und so wurde es hell und wasserabstoßend. Wir hatten auch Angst vor offenem Feuer. Darum nahm ich mir einmal ein Herz, zupfte ihm eine Feder aus dem Flügel und versuchte sie anzustecken. Sie brannte nicht.
George selbst hatte große Probleme mit dem Einschlafen. Aus Furcht, seinen Flügeln schaden zu können, vermieden wir es anfänglich, ihn auf den Rücken zu legen. Doch er war es bald leid, immer nur auf dem Bauch zu liegen, und es zeigte sich, daß seine Flügel einiges aushielten. Er zog es vor, auf dem Rücken zu liegen beziehungsweise auf den gefalteten Flügeln, die ihn wie ein Kissen unterstützten. Ich vermute, er hätte auch auf einem Steinfußboden schlafen können. Vielleicht lag gerade darin der Zweck seiner Flügel: ihn weich zu betten. Er breitete sie jedenfalls nie aus und trug sie stets eng am Rücken, als wollte er sich von ihnen wärmen und kuscheln lassen.
Eines Nachmittags sagte mir der Arzt in fast beiläufigem Tonfall, daß er George die Flügel abzunehmen gedachte. Der Junge sei in einigen Monaten kräftig genug für eine solche Operation. Ich war schockiert. An diese Möglichkeit hatte ich bislang kein einziges Mal gedacht. Der Arzt sagte: »Aber natürlich. Wir können sie doch nicht dranlassen. Der Junge würde für ein Monstrum gehalten. Mit der Amputation müssen wir allerdings noch ein bißchen warten, bis er größer ist.«
Fortan betrachtete ich meinen Sohn mit kritischerem Auge. Er sah wirklich seltsam aus, ungewöhnlich. Aber wessen Vaters erstes Kind tut das nicht? Und was seine Flügel anbelangte, so schien er sich ganz und gar wohl damit zu fühlen. So oft er an Karies Brust lag, zitterten sie ein wenig vor Lust, die sich bei anderen Kindern darin zeigt, daß sie die Zehen nach oben biegen. Ansonsten blieben die Flügel zusammengefaltet, als wären sie nur zur Zierde da. Ich versuchte mir ihn ohne Flügel vorzustellen, mit kahlem, pummeligem Rücken.
Es fiel mir schwer, mit Katie über den Vorschlag des Arztes zu reden, wußte ich doch, daß sie aus denselben Gründen wie ich dagegen sein würde: Wir liebten unser Kind, so wie es war. Andererseits stand immerhin seine Zukunft auf dem Spiel. Darüber durften unsere eigenen Gefühlen nicht allein entscheiden. Also bat ich den Arzt um ein weiteres Gespräch. »Herr Doktor«, sagte ich, »George gefällt mir, wie er ist.«
»Verstehe«, antwortete der Arzt. »Aber Sie müssen an seine Zukunft denken, an das, was sein wird. Noch ist er ein Baby; die Flügel sind klein und stören nicht. Aber bedenken Sie nur: Wenn die Flügel einmal ihren Zweck erfüllen
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